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Der Weg zum neuen Buch

Das Buchverschlingungslesegeschwader ist langsam in Auflösung. Eine der Vielleserinnen geht bereits heute in die Tagesklinik. Irgendwie kursiert der Wortwitz „Badeverlängerung“ in unseren Köpfen. Irgendwer hatte einmal in einem witzigen Geplänkel den Begriff „AIDA“ bzw. „MS Psychotika“ für die Station geprägt... Und da die Tagesklinik bei einigen von uns direkt im Anschluss ansteht, kann man den Vergleich zur Badeverlängerung doch eigentlich ganz gut anwenden. Ich werde jedenfalls mit einigen Tagen Abstand auch wieder dorthin folgen. Und noch ein paar Tage später werden die Bücherwürmchen wieder bei einander sein. Es ist daher nur ein Abschied auf Zeit und dennoch fällt er ein wenig schwer. Die Stimmung auf Station wird sich durch den Weggang merklich ändern. Wie er sich beim Weggang jeder einzelnen Person immer ändert – unmerklich – mal zur Freude einiger und dann aber auch wieder mit einer gewissen Traurigkeit. Und da es aktuell keine Neuzugänge gibt, leeren sich der Flur und die Zimmer und es wird fast täglich immer stiller. Nur hier und da hallt ein Gespräch durch den Gang. Oder man kann in ungünstigen Momenten den Telefonaten der anderen beiwohnen. Ob man will oder nicht... Die Wände und Türen sind aber auch verdammt hellhörig...

Professor Unaussprechlich ist mit seinem Gefolge zur Visite erschienen. Der weiße Arztkittel wirkt auf mich als würde er ihn ein wenig verkleiden – jedoch ist dieser Eindruck nicht verstörend. Schon gar nicht verstörend wie manche Ärzte auf einen wirken können, wenn sie so von oben herab auf einen schauen. Herab auf den unwissenden Patienten. Auf den Patienten, der einfach nicht mit der Situation klar kommt obwohl doch alles so einfach und unspektakulär ist. Diese Art Arzt zu der man auf jeden Fall keinen richtigen Draht finden kann – ich zumindest nicht. Doch der Professor Unaussprechlich schaut nicht von oben herab – er schaut auf Augenhöhe, auf gleicher Ebene – nur manchmal oder eigentlich sehr oft – aus einer anderen Perspektive. Aus einer professionellen Perspektive. Und diese Perspektive ist es, die ich gerade mehr als nur einmal brauche. Brauche um mit mir und meine Gedanken klar zu werden. Nein ich erwarte keinen Zauberspruch, der alles gut macht. Den wird es wohl auch nicht geben. Eine anderen Blickwinkel gibt es jedoch definitiv. Einen Blickwinkel, der meine Gedanken und Empfindungen nicht unbedingt gut heißt, aber der diese erst einmal im Raum stehen lässt und sie auch ab und an erst einmal einfach akzeptiert. Dieses feinfühlige Einmischen ermöglicht mir auch, einen offenen Blick aus einer anderen Richtung zu wagen. Mich und meine Punkte, die mich bewegen, zu überdenken oder gar zum ersten Mal überhaupt zu denken. Und dieser Ansatz ist harte Arbeit. Dieser Ansatz wird noch einen ganze Weile in Kauf nehmen. Doch ich will diesen Weg gehen. Wohin er mich führen wird ist immer noch nicht ganz klar – jedoch wird sich etwas ändern. Es muss sich was ändern...

Am Nachmittag führt mich mein Weg in die Innenstadt. Die rothaarige Vielleserin begleitet mich. Wir sinnieren über dies und das... Auch über unsere „Badeverlängerung“...

Unser Schlendern führte uns in eine Filiale eines großen Buchhändlers. Irgendwie hatte ich mir in den Kopf gesetzt ein eBook-Reader zu benötigen. War ich es doch leid immer mit dem Buch in der Hand einzuschlafen. Dabei schwebte immer auch die Angst mit, dass ich es zerstören konnte. Zerstören in seine Unversehrtheit. Ein Knick in einer Seite oder eine Schadstelle am Buchrücken sind für mich Katastrophen. Gar fast unvorstellbare Katastrophen, die einem heimtückischen Mordanschlag auf das Buch gleichen. Bücher haben eine Seele und diese muss gepflegt werden.

Trotzdem will ich mir diese technische Errungenschaft anschauen. Fand ich es doch in den letzten Tagen – und auch schon früher – immer umständlich große und dicke Bücher in den Händen zu halten. Diese gar in einer bequemen Pose entspannt auf der Couch zu lesen. Ich schaute mir also die angebotenen Geräte an. Klein und praktisch kamen sie daher. Doch auch irgendwie ohne Seele. Die Seiten wirkten stumpf und der typische Geruch nach Papier und Druckerschwärze fehlte gänzlich. Ich zweifelte. An dem eBook-Reader. An dem Preis für das Geräte und für die entsprechenden Bücher. Aber vor allem zweifelte ich an mir selbst.

Als wir vor der städtischen Bibliothek standen, stellten wir entsetzt fest, dass diese montags geschlossen ist. Der Weg war also nicht zielführend. Umsonst wäre wohl der falsche Begriff, denn er hatte uns doch ein paar lustige Minuten und vor allem eine gehörige Portion frische Lust beschert. Wir planten daher unser Vorhaben nun an einem der folgenden Tage wirklich in die Tat umzusetzen und uns hoffentlich spannende Bücher ausleihen.

Der Buchhändler hat eine zweite Filiale in der kleinen Studentenstadt und irgendetwas zog mich magisch hinein. Auch meine Begleiterin war einem weiteren Eintauchen in die Welt der Bücher nicht abgeneigt. Wir betraten das Geschäft. Auf dem Regal mit den Bestsellern sprang uns das Buch „Achtsam Morden“ in die Augen. Ich fand es steht zu recht an dieser Stelle.

Etwas weiter hinten im Raum waren die eBook-Reader etwas ausladender angeordnet. Ebenfalls waren die dazu gehörigen Angebote für Bücher stilvoller präsentiert. Ein anderer Kunde des Buchhändlers ließ sich gerade die Vor- und Nachteile erklären und ich nutzte die Gelegenheit und lauschte dem Ganzen. Er stellte die Fragen, die mir immer noch durch den Kopf schwirrten. Und er schien die selben Zweifel zu hegen wie ich... Doch er entschied sich dann doch für den Kauf. Ich jedoch brauchte nicht mehr lange zu überlegen. Den Preis für den eBook-Reader kann ich viel besser in die nächsten 10 Jahre meiner Mitgliedschaft in der Stadtbibliothek investieren und mir unendlich viele Bücher ausleihen...

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