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In Englisch please...

Heute war wieder so ein Tag, der mich runter gezogen hat. Irgendwie mochte ich schon nicht richtig aufstehen. Zum Glück bin ich gestern Abend schon in meine Wohnung gefahren. So konnte ich doch eine ganze Stunde länger im Bett liegen und mich an die warme Decke schmiegend in meiner Lethargie verlieren. Der Wecker tat seine Aufgabe und klingelte in regelmäßigen Abständen. Ohne ihn wäre ich glaube im Schlaf verloren gegangen. Seit einigen Tagen oder gar Wochen benötige ich auch wieder mehrere Wecker in kurzen Abständen um überhaupt in den Tag zu kommen. An sich eigentlich ziemlich nervig...

Mit dem letzten Wecker habe ich mich von Kissen und Decke getrennt und bin in Bad geschlichen. Morgentoilette. Notwendig, denn ich musste mal wieder ins Büro. Wie habe ich mich doch an meine Einsamkeit des Homeoffice gewöhnt. Menschen sind immer noch nicht so meine liebsten Geschöpfe. Oder ist die Abneigung in den letzten Wochen wieder gestiegen? Wie es auch ist, ich muss ins Büro. Bin ich doch heute wieder für die Belehrung nach Infektionsschutzgesetz eingeteilt. Immer wieder bis zu 16 Personen in Wort, Bild und Video in den ganz groben Grundlagen der Lebensmittelhygiene unterweisen. Wir schaffen das. Meine Depression muss da halt mal ruhig halten. Soll doch keiner mitbekommen wie es mir geht. Geht diese Menschen ja auch nichts an. Und auch nicht die Kolleg*innen im Büro. Geht die nämlich auch nichts an. Daher anziehen, Lächeln aufsetzen und die Gute-Laune einschalten. Und mit der Gewissheit, dass ich spätestens nach 3 Stunden wieder aus den Menschenmengen entschwinden kann, los marschieren.

Die Luft ist kühl und trocken. Der angekündigte Eisregen zeigt sich zum Glück noch nicht. Bei meinem Glück würde ich sonst wieder alle rutschigen Stellen erwischen...

Die Straßenbahn ist ungewöhnlich leer. Ferien dürften doch noch nicht sein. Oder? Keine Ahnung. Vielleicht habe ich auch nur die Relation des Fahrgastaufkommens in meiner Homeofficezeit verloren. Aber ich bin nicht böse um die Situation...

Gegen 8 Uhr stehe ich vor dem Büro der Kollegin. Stehe da wie bestellt und nicht abgeholt. Drinnen liegen die Zahlkarten und ich komme nicht dran, da ich keinen Schlüssel habe. Brauche ich ja eigentlich auch nicht – ich bin ja im Homeoffice... Zumindest eine Zugangskarte zum Gebäude und zu den einzelnen Etagengängen wurde mir vergönnt...

Die Kollegin aus dem Büro gegenüber schließt mir kurz auf. So konnte ich einen Teil der notwendigen Unterlagen schnappen und mich daran machen, den Schulungsraum vorzubereiten. Die anderen Unterlagen sind immer noch in einem anderen Büro deponiert. Das steht jedoch zum Glück meist offen. Aber ich frage nicht mehr nach der Logik dahinter. Schließlich bin ich ja nur in diesen Bereich ausgeliehen...

Im Schulungsraum steht die Luft. Also Fenster auf. Unterlagen auf den Tischen verteilen und das Video vorbereiten. Alles geht zügig voran. Dann die Zahlkarten nach Nummer sortieren – erleichtert mir das Ausgeben. Den jeder Teilnehmer muss eine Gebühr entrichten. Und welche Karte zu wem gehört steht auf einer Liste. Aber nicht nach Namen oder Kartennummer sortiert, sondern wild durch einander...

Die ersten Teilnehmer stehen auch schon vor der Tür. Ich schaue mir die ersten Ausweise an. Erkläre den Weg zum Kassenautomat und auch, dass ich die Ausweis zur Erstellung der Nachweishefte benötige und diese daher erst kurz behalten werde. Freundlich lächelnde, junge Männer stehen vorm Gebäude und betrachten interessiert die soeben ausgereichten Kassenkarten. Also die ganze Erklärung noch einmal in Englisch. Zum Glück funktioniert dies und sie ziehen los. Ich werfe einen Blick auf die Anmeldeliste. Auf der Liste stehen vornehmlich indisch anmutende Namen. Mittlerweile habe ich so ein wages Gefühl dafür. Also noch den Ordner mit den Unterlagen in weiteren Sprachen geholt und... keine passenden indischen Exemplare dabei. Als Notfalllösung gehe ich schnell die englischen Texte kopieren. Der Kopierer meldet fehlendes Papier. Na toll – kein Nachfüllpaket mehr da. Also das letzte halbe Paket A4 aus dem anderen Kopierer ins Gerät geworfen - reicht. Schlussendlich nur noch einen Locher und einen Heftklammerer gesucht und schon bin ich fertig. Doch ohne eigenen Arbeitsplatz und dessen Ausstattung nicht einfach. Zum Glück weiß ich mittlerweile wo ich auch in anderen Büros etwas finde – und vor allem, wer keinen Aufstand macht, nur weil man das Arbeitsmaterial nutzt. Die Kollegin organisiert zwischenzeitlich auch schon telefonisch eine Nachfüllkarton Papier für die Kopieren. Schließlich sind wir nicht wie mach andere...

Als ich zurück in den Seminarraum komme, ist mittlerweile auch die Kollegin eingetroffen, vor deren Büro ich vorhin stand. Sie versucht die nächsten Kassenkarten auszugeben und den Weg zum Automaten zu erklären. Doch ihr Englisch ist noch schlechter als meines... Also haben wir mehr oder minder doppelte Erklärarbeit und ich frage mich warum nicht gleich lässt. Doch irgendwie schaffen wir es. Wir zwei das Erklärung und die jungen Inder, das Erklärte umzusetzen.

Ich fange schon einmal an die Nachweishefte für die wenigen Personen zu erstellen, deren Ausweise auch Adressdaten enthalten. Denn der Nachteil an internationalen Personaldokumenten ist, dass einfach keine Wohnanschrift vermerkt ist. Mein Plan ist daher, wenn alle wieder zurück sind fragen, ob sie die zu lesenden Unterlagen in Englisch haben möchten und auch darauf hinweisen, dass die Adresse auf den auszufüllenden Zetteln deutlich geschrieben werden muss. Diese kann ich dann einsammeln, wenn die Teilnehmer die Texte lesen und es bleibt während des Filmes immer noch genügend Zeit die Nachweishefte auszufüllen.

Doch was macht meine Kollegin? Sie wuselt durch den Raum und fragt jedoch nur die Hälfte. Teilt dem entsprechend auch nur an die gefragte Hälfte die englischen Unterlagen aus. Ebenso engagiert aber nicht zielführend versucht sie das mit den Adressen zu erklären. Irgendwie grummelt mir mein Magen und ich frage mich, warum sie sich jetzt reinhängen muss. Wie so ein Teebeutelchen... Mein Plan war doch so schön strukturiert und irgendwie in meinen Augen auch logisch und sinnvoll. Aber irgendwie kann ich ihr nicht böse sein. Sie tut es ja mit guter Absicht. Wirken wir dann halt etwas unkoordiniert, wenn ich dann nochmal nach Adresse und anderssprachigen Unterlagen frage... Naja... wir werden die Menschen wohl nur heute und dann nie wieder sehen. Selbst wenn, dann werden wir uns wohl auch nie wiedererkennen.

Die Schulung läuft. Ich reduziere das Erklärte und die Nachfragen auf das Nötigste. Habe ich doch eh das Gefühl, dass ich unverständig freundlich angelächelt werde. Doch in Englisch kann und darf ich den Inhalt nicht erläutern. Aber zum Glück sind die Texte ja verhanden.

Ich sammle die ausfüllten Zettel mit den Adressen ein und mein Teebeutelchen stürzt sich unermüdlich darauf, die Nachweishefte zu schreiben... Und ich stehe wieder nur da und schaue mir gelangweilt zum gefühlt 30igsten Male den Lehrfilm an...

Ja, ich stehe wieder da und frage mich, warum sie die Belehrung nicht gleich selbst macht. Warum ich éxtra dafür ins Büro kommen muss. Wenn die Schulung so abläuft, fühle ich mich jedes Mal so überflüssig. Am liebsten würde ich gehen wollen. Doch das geht ja nicht. Ich lächele und warte darauf, dass das Video vorbei ist. Ich erkläre noch die letzten Dinge und gehe dazu über noch schnell den Raum zu richten.

Mittleweile sind die vorher noch stillen Büroräume mit Leben erfüllt. Die Kolleg*innen sind eingetroffen. Daher kann ich nicht nur einfach die Unterlagen wieder zurück räumen. Nein ich muss gefühlt mit jeden sprechen. Irgendwie will heute jeder Smalltalk halten. Heute gar nicht meins – aber ich muss ja freundlich den Schein wahren. So vergehen lange Minuten bevor ich endlich das Dienstgebäude verlassen kann.

Als ich vor die Tür trete, stelle ich fest, dass der Eisregen eingesetzt hat. So rutsche ich mehr schlecht als recht in Richtung Straßenbahn...



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