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Schmerzhafte Erkenntnisse

Das Wochenende nahm also seinen Lauf. Einen Lauf, der so schmerzhaft vorhersehbar war. Wollte ich das Wochenende oder gar mein Leben doch so nicht haben, wollte mich doch eigentlich endlich um mich kümmern. Wollte doch endlich den Worten einer Freundin Gehör schenken.

Meine inneren Erwartungen an mich selbst – meine ungesunde Verpflichtungen hatten mich jedoch in der Hand. Geboten es mir, es so wie immer, zu wiederholen. Immer und immer wieder. So wie in den letzten Wochen und Monaten. So wie gar in den letzten Jahren... Ausschließlich Krankheit, der Aufenthalt in der Klinik brachten mir im Rückblick ein wenig Erholung. Erholung von mantraartigen Tiraden. Tiraden, die sich immer und immer wieder wiederholten. Wiederholten wie eine alte Schallplatte, die mittlerweile ein Sprung hatte...

Lesen, schreiben, fernsehen – alles war nicht möglich. So unmöglich wie erwartet. Wurden doch Stunde um Stunde immer die gleichen Phrasen gedroschen. Nachrichten, Filme, Serien – alles wurde kommentiert. Zermürbende Wiederholungen. Aggressiv zynische Wiederholungen. Ob sie inhaltlich richtig oder falsch waren, war egal... So egal wie schon immer. Es war ausschließlich Sinn und Ziel mir den letzten Nerv zu rauben. Und alles war ständig scheinbar nur als Provokation gedacht... Ich verzweifelte... Verzweifelte an meiner Dummheit, mich immer und immer wieder in diese Situation zu begeben. Ein Einwand war nicht möglich. So unmöglich, wie er bisher immer erschien. Selbst die kleinste Anmerkung verschlimmerte die Situation doch einfach nur... Machte es doch einfach nur noch schlimmer. Sinnfrei, wiederholend, nervtötend... Nur nichts sagen, sonst beginnt der sinnentleerte Wortfluss von vorn... Immer und immer wieder...


Ich versuchte mich zu konzentrieren. Wollte ich doch endlich wieder an den Blog-Beiträgen schreiben. Schließlich war ich doch schon wieder im Rückstand. Mehrere Tage im Rückstand. Mein eigener Ehrgeiz, mein Zwang zum Perfektionismus tanzte mir ungebändigt auf der Nase herum. Doch die letzten Tage waren zu anstrengend. Zu anstrengend um noch zu schreiben. Hatten mich teilweise vollkommen aus der Bahn geworfen. Ließen keinen klaren Gedanken zu. Machten es mir einfach unmöglich, die Sätze sinnvoll zu formulieren.

Ich bemühte mich, mich auf die einzelnen Tage zu konzentrieren. Es gelang mir nicht. Immer und immer wieder sprang ich von einem Beitrag zum anderen. Gedanklich und tatsächlich. Mit der Zeit verschwammen die Geschehnisse. Teilweise konnte ich das, was in den letzten Tagen passierte, nur noch mit Hilfe meiner Notizen zu ordnen. Mit jeder Sekunde wurde ich wütender. Wütend auf mich selbst. Wütend darauf, dass ich diese Situation hier nicht einfach verließ. Enttäuscht, dass ich es selbst aus Selbstschutz nicht übers Herz brachte, den Raum zu verlassen. Ich wurde immer wütender auf meinen doch sonst so guten Fluchtreflex. Diesen Fluchtmodus, der hier und jetzt im Flugmodus zu sein scheint. Ich fühlte mich einfach so unzulänglich – so unendlich klein und dumm...

So saß ich nun noch immer da und stolperte einen nach dem anderen Satz zusammen. Musste um jedes Wort kämpfen. Musste Abschnitte immer und immer wieder lesen. Lesen, damit sie einen Sinn ergeben. Lesen, damit sie nicht so sinnfrei erscheinen. Sinnfrei wie diese elenden Tiraden... Und ich überlegte tatsächlich, ob ich diesen Text schreibe solle. Überlegte, ob ich das bisher formulierte nicht besser wieder löschen sollte. Überlege, ob es sich gehört, in dieser Art und Weise einen Einblick zu erlauben. Ich stockte. Stockte immer und immer wieder, doch ich schrieb. Ich schrieb tapfer weiter. Konnte ich meine Aggressionen, meine Gedanken diesbezüglich doch zum ersten Mal in Worte fassen...

Worte, die wohl nie an der richtigen Adresse ankommen werden. Worte, die voraussichtlich auch nur auf Unverständnis stoßen würden. Worte, die in deren Augen doch einfach nur falsch seien würden. So falsch, wie alles erscheint, was ich tue oder nicht tue. So falsch, wie meine Vorlieben, meine Gedanken, meine Gefühle und Emotionen. So unendlich falsch, wie mir meine Person immer eingeredet wird... So wie es mir ständig eingeredet wurde. Eingerede sofern ich überhaupt wahrgenommen wurde... Meine Erfolge wurden klein geredet. Alles war so selbstverständlich. Schulnoten, Schulabschluss, Berufsausbildung – alles gehörte einfach so dazu. War nichts wofür ich Zuspruch bekam. Noten wurden finanziell honoriert... Finanziell... Doch emotionaler Zuspruch fehlte. Fehlte so lange ich mich erinnern konnte.

Meine Leidenschaften werden noch immer belächelt. Meine Gefühle und Empfindungen verhöhnt. Immer und immer wieder habe ich das Gefühl, als Witzfigur angesehen zu werden... Emotional werde ich seit Jahren beschnitten. Emotional bin ich vernachlässigt, verkrüppelt... Und immer und immer wieder frage ich mich, warum ich mir das in dieser Form antue... Und immer und immer wieder sagt mir eine innere Stimme, dass man das als braves Kind zu ertragen hat...


Während ich diese Sätze niederschreibe bin ich wütend. Wütend auf das, was war. Wütend auf das, was ich vermutlich verpasst haben könnte. Aber vor allem wütend auf mich selbst. Wütend darauf, dass ich keine Kraft habe, diesen doch so einfach erscheinenden Schritt zu tun. Liegt doch eigentlich die scheinbare Erkenntnis, die Lösung für einen gesunden Wandel so nah. Einen Wandel in ein anderes, vielleicht sogar besseres Leben. Doch mir fehlt der Mut, die emotionale Stärke. Wurde ich doch bisher immer zynisch belächelt... So zynisch belächelt, dass ich mir diesen Zynismus mir gegenüber selbst angeeignet habe...


Eine Freundin fragte mich vor wenigen Tagen nach meinem größten Wunsch. Nach dem Wunsch, der mir schon lange auf der Seele liegen würde...

Ja, ich kenne diesen Wunsch, dieses Bedürfnis. Ein so grundlegend kindliches Bedürfnis. Ein, mir so unendlich schmerzhaftes Bedürfnis. Ein Verlangen, welches ich gegenüber anderen bisher nicht formulieren konnte. Konnte ich es doch einfach nicht in Worte fassen. Ich erlaubte mir es schlicht und einfach nicht. Ein kindliches Begehren, welches ich mir schon so lange nicht erlaube. Welches ich mir eigentlich noch nie aufrichtig erlaubte, da mir diesbezügliche Äußerungen doch bisher immer nur unverständige Reaktionen bescherten...

Ich gestand mir meinen Wunsch einfach nicht zu. Diesen großen kleinen Wunsch, der vielleicht so einfach zu erfüllen sein könnte. Vor dessen Erfüllung ich aber so unendlich viel Angst habe. Angst davor, dass ich mich an das damit verbundene Gefühl gewöhnen könnte. Angst davor, dass ich die damit verbundene Nähe zulassen könnte. Oder besser gesagt Angst davor, dass ich diese Nähe, diese Zugewandtheit einfach wieder verlieren könnte. Sie wie sooft wieder verlieren könnte... Hatte ich doch die Befürchtung, dass ich auf Unverständnis stoße. Hatte mich dieser Wunsch doch immer und immer wieder noch tiefer in die emotionale Einsamkeit getrieben. War dieses Bedürfnis doch scheinbar immer viel zu überfordernd für mein Umfeld...

Ich verbot mir meine Wunsch. Verbot ihn mir schon Ewigkeiten. Hatte ich mich doch über die Jahre daran gewöhnt, mein eigenes Bedürfnis nach Nähe und Zuwendung zu unterbinden... Meine eigenen Wünsche zu vernachlässigen. Mich zu vernachlässigen...


Das Schreiben ermüdete mich. Ermüdete mich unendlich. Aber heute war es keine bleierne, traurige Müdigkeit. In diesem Müde sein schwang ein Hauch Zufriedenheit mit. Stellte ich doch dadurch fest, dass die letzten Tage Früchte tragen. Hatten mich die schmerzhaften Begebenheiten der letzten Wochen doch zu diesen Zeilen befähigt. Alles bisherige hatte endlich seinen Sinn. Seine Berechtigung. Einen tieferen Hintergrund, an dem ich bisher doch immer und immer wieder zweifelte. Taten mir die Gespräche und Begegnungen der letzten Tage doch so unendlich gut. Regten sie doch neue Gedanken und Überlegungen an. Machten mir Mut und zeigten mir dabei doch auch, dass ich mir meine Wünsche und Begehrlichkeiten erlauben darf... Konnte ich doch endlich einmal spüren, dass ich genüge...

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