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Gefährliche Manöver

Es war bereits weit nach Mitternacht als wir wieder an dem kleinen Häuschen meiner blonden Konzert-begleiterin ankamen. Sie nennt es immer selbst liebevoll Hexenhäuschen. Die Fahrt war trotz der späten Stunde, der Nebelschwaden und meiner Müdigkeit recht angenehm verlaufen. Die Nebelschleier hatten hier und da den Blick auf die Straßen getrübt, doch es gab keine brenzligen Situationen. Selbst die Füchse, welche unsern Weg kreuzten waren eher eine positive Erscheinung als eine Gefahr...

Wir verabschiedeten uns. Ein schöner Abend fand sein Ende. Ein Abend mit Überraschungen und mit Lachen. Ein Abend ohne das Gefühl der unendlichen Einsamkeit. Ich fuhr weiter. Wieder eine Stunde Autobahn. Eine unendliche Stunde. Eine gefährliche Stunde, denn ich wusste, dass ich eigentlich nicht mehr in der Lage war. Ich war zu müde zum Autofahren. Meine Vernunft hätte sich einschalten müssen. Meine Eigenverantwortung hätte rebellieren sollen. Doch sie tat es nicht... Ich fuhr also. Erst durch den langen Tunnel – Tempolimit 80 Stundenkilometer. Die technischen Möglichkeiten des Autos taten alles dafür, dass ich immer müder wurde. Dann auf der zweispurigen Autobahn weiter. Weiter, dann vorbei an der Landeshauptstadt, in Richtung dieser von mir nicht sonderlich geliebten Studentenstadt. Das Wetter schlug ein wenig um. Es regnete und der Regen wurde mit der Zeit zu einem leichten Schneeschauer. Schnee – eigentlich nicht verwunderlich für diese Jahreszeit. Die Wischautomatik tat ihren Dienst. Wie alle der technischen Hilfsmittel ihren Dienst taten...

Plötzlich erschrak ich. Ein reißen am Lenkrad. Eine heftige Bewegung in Richtung Fahrbahnmitte. Ich war eingeschlafen. Der sogenannte Sekundenschlaf hatte zugeschlagen. Ich war nicht überrascht. War ich doch sehenden Auges absichtlich mit dieser Wahrscheinlichkeit los und weiter gefahren. Ich war eher enttäuschst. Enttäuscht darüber, dass das Auto in dem Moment mehr Überlebenswillen hatte als ich selbst. Enttäuschung darüber, dass es wieder nicht geklappt hatte – das ich es wieder einmal nicht zum Ende geschafft hatte... Fühlte mich angesichts dieses Versagens leer und nutzlos. Ich fuhr weiter. Kein Gedanke an eine Pause auf dem nächsten Rastplatz, die eigentlich so von Nöten gewesen wäre. Einfach weiter...

Also ich auf meinem Parkplatz ankam war es bereits kurz nach 2 Uhr morgens. Ich saß wo ich saß. Konnte nicht aussteigen. Die obligatorische „Bin gut angekommen“-Nachricht kopierte ich aus einem der älteren Chats. Neue, aktuelle Worte waren mir zu schwer. Zu verlogen...


Gegen 7 Uhr klingelte der Wecker. Aufstehen. Aufstehen nach einer kurzen Schlafphase. Hatte ich doch noch keines der am Abend gemachten Bilder und Videos weitergeleitet. Ich hatte versprochen es als bald zu tun. Dann wenn ich mich wieder in meinem WLAN-Bereich befinden würde – doch ich hatte es nicht getan. Bisher nicht getan. In mir kam das Gefühl des Versagens auf. Und ja es war nur ein Gefühl. So ein dummes, selbstkritisches Gefühl. Eines derer, die immer alles madig machen. Schließlich schickte ich die Bilder vom Vorabend. Die Bilder mit dem fröhlichen Lachen und der genialen Lasershow...

Dann hieß es auch schon Kochen. Meine unbestrittene verhassteste Tätigkeit. Ich kann es aber ich mag es nicht... Ist es doch viel zu viel Beschäftigung mit dem Thema Essen... Einem Thema, was sich hier zu einem großen Brocken entwickelte. Einem Thema, was schon seit mehreren Jahren hätte in Angriff genommen werden können – genommen werden sollen... Vorwurfsfrei am besten... Vielleicht schaffe ich es ja dieses Mal in einer sinnvollen Variante...

Ich stehe in der Küche – der Vater sagte zwar, dass er keine Ahnung von dem alten Familienrezept hätte, aber er hat schon mal die Hälfte vorbereitet. Ich frage mich daher, warum ich so früh aufgestanden und zu ihm gefahren bin. Also mache ich mich an die letzten Handgriffe. Schneiden, kneten und würzen. Gleichzeitig noch Kartoffeln ansetzen. Alles viel zu früh, wie ich feststelle. Und vor allem viel zu viel... Aber so recht es gleich für später noch einmal – Vorräte sind gut hatte Oma immer gesagt.

Die Waschmaschine ist bereits durchgelaufen und die nächste Ladung liegt bereit. Nur noch schnell die Wäsche aufhängen und dann geht es ab. Ab in Richtung Pflegeheim. Ab zur Mutter. Wieder einmal einen schweigsamen Nachmittag bei schlechter Laune verbringen. Wieder einmal sehen, was mir voraussichtlich bevorstehen könnte in ferner naher Zukunft. Ein Zustand, der mir immer wieder die Frage nach dem Sinn und Sein aufdrängt. Ein Zustand namens Alzheimer. Nichts mehr verstehen können. Alles vergessen. Nicht mehr wissen was um einen passiert – geschieht. Menschen nicht mehr einordnen können. Ein Zustand, vor dem ich Angst habe – den ich nicht erleben mit erleben und auch selbst nicht erleben möchte... Vor dem ich mich davon stehlen möchte...

Wir machen uns also auf den Weg – eine knappe Stunde Fahrtzeit. Eine Strecke, die eigentlich immer nur gerade aus über die Autobahn führt. Einen Abschnitt entlang, der in den letzten Jahren immer und immer wieder durch Baustellen gekennzeichnet war.

Kurz vor der entsprechenden Abfahrt – ein Tempolimit auf 120 km/h – mit technischem Tempobegrenzer leicht einzuhalten. Wir fahren rechts. Vor uns ein LKW und ein dunkelblauer Kombi mit Hamburger Kennzeichen. Er fährt gemächlich hinter dem Laster her. Einige Minuten ändert sich nichts an dieser Reihenfolge. Ich schließe dank Tempomat langsam auf und wechsele auch die Mittelspur. Die Geschwindigkeitsbegrenzung ist immer noch aktuell. Plötzlich – gerade in dem Moment als ich direkt neben dem Hamburger Kombi bin, zieht dieser ohne Vorwarnung nach links und touchiert mich – uns – fast. Welch ein Idiot denke ich... Hatte dieser Hohlkopf doch lange genug Zeit ebenfalls zum Überholen anzusetzen. Doch nein... Genau in diesem Moment... Ich drücke auf die Hupe und überlege ob bremsen oder Gas geben jetzt das Richtigere wäre. Der Typ bremst kurz und ich beschleunige. Wild gestikulierend zieht er hinter mir raus auf die Mittelspur und direkt noch weiter nach links... Überholt mich fluchend und brecht trotz Tempolimit davon...

Mit einer Tasse Kaffee und einem Stück Kuchen sitzen wir da. Da, wie so oft im letzten Jahr. Schweigend. Frustriert. Der Vater kann mit der Situation nicht umgehen. Mit der Situation Pflegeheim und noch weniger mit der Krankheit. Einer Krankheit, die dem Menschen das nimmt was ihn ausmacht. Was ihn liebenswert macht. Was er liebt. Er ist verzweifelt. Ich bin verzweifelt. Verzweifelt obgleich der Erkrankung meiner Mutter und deren Folgen, aber auch Verzweifelt wegen seiner Verzweiflung. Wir sitzen also da. Kein Gespräch entwickelt sich. Keine Nähe ist zu spüren. Nur unterschwellige Vorwürfe. Vorwürfe zu allem und zu nichts. Unausgesprochen und trotzdem ständig im Raum stehend. Vorwürfe zu Sinnlosigkeiten, zu Banalitäten. Nichts kann man ihm Recht machen. Selbst meine neue Haarfarbe scheint ihm zu wieder zu sein. Wie so vieles von mir. Meinen Interessen und meinen Vorlieben. Und dies macht mich unheimlich klein und wütend. Unheimlich belanglos und traurig...

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