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Gefühlte Schuldzuweisungen

Kopfschmerzen. Übelkeit. Und laute Geräusche aus der Wohnung neben mir. Meine Wohnung scheint taghell zu sein. Ein Geräuschpegel wie auf dem Bahnhof. Ich höre den Fahrstuhl. Schritte auf dem Hausflur. Es ist kurz vor ein Uhr nachts. In Realität ist alles anders – alles normal. Mein Nachbar hat wie so oft noch den Fernseher laufen. Von draußen dringt der dezente Schein der nächtlichen Straßenlaternen durch die Fenster ins Zimmer. Doch mein Gehirn spielt verrückt. Meine Neuronen feiern Fasching. Mich sucht eine Migräneattacke heim. Eindrücke und Gedanken schlagen an meine Schädelwände. Immer und immer wieder. Durchatmen. Jetzt bloß nicht zur Toilette rennen müssen... Und immer wieder auf die Atmung konzentrieren – ein, aus, ein, aus...

Ich schließe die Augen und versuche weiter zu schlafen. Versuche die Gedanken auszuschalten. Es gelingt mir nicht. Ich liege eine gefühlte Ewigkeit wach und die Kopfschmerzen werden immer mehr. Immer unerträglicher. Langsam setze ich mich auf. Ich kämpfe mit mir. Soll ich doch während der Zeit in der Tagesklinik keine Eigenmedikation vornehmen. Doch es geht nicht ohne. Ich nehme die Schachtel mit den Tabletten zur Hand. Nehme eine mit einem gehörigen Schluck Wasser. Mein Magen rebelliert. Meine Konzentration ist stärker. Ich schaue auf die Uhr. Die Zeiger stehen auf kurz vor drei Uhr... In weniger als 4 Stunden wird der Wecker klingeln. Der Tag beginnen. Mir eine neue Chance in der Tagesklinik bieten. Nach meinem Bauchgefühl die wahrscheinlich letzte Gelegenheit zur Änderung in meinem Leben.

Neben der Migräneübelkeit überkommt mich noch ein Gefühl der Verunsicherung. Verunsicherung darüber, ob die Dosis ausreichend ist. Ausreichend um mich den Tag überstehen zu lassen. Die Zweifel werden immer dominanter. Aus Furcht greife ich erneut zu den Tabletten. Zwei sollten endlich Erleichterung bringen. Zwei sind gut. Mehr nicht. Endlich beginnt der Wirkstoff seinen Dienst zu leisten. Langsam kann ich mich ein wenig entspannen und schlafe ein.

Der Wecker klingelt. Ausschalten. Noch ein paar Minuten schlafen. Aus Minuten wird mehr als eine Stunde. Die Kopfschmerzen sind wieder schlimmer. Der Blick auf das Ziffernblatt lässt mich erkennen, dass ich auch mit den Auto nicht pünktlich sein kann. Durchatmen. Nur keine hektische Geschäftigkeit ausbrechen lassen. Ruhig bleiben. Die Anspannung wird trotzdem immer unangenehmer. Wie automatisiert greife ich zuerst erneut zur Tablettenschachtel und dann zum Telefon.

Die Ziffern stehen im Display. Zwischenzeitlich habe ich Nummer das Station abgespeichert. Doch ich traue mich nicht zu wählen. Ich bin überzeugt davon, dass man mir meine Lage nicht abnehmen wird. Ich bin in einem Gedankenkorsett der Unterstellung gefangen. Die Befürchtung, dass mein Anruf als Ausrede aufgenommen werden würde, nimmt mir die Luft und den Mut. Doch nicht anrufen macht es nicht besser. Also Augen zu und durch...

Noch bevor ich verschämt wieder auflegen kann – noch bevor überhaupt ein Rufzeichen ertönte, begrüßte mich meine Bezugsschwester mit einem freundlichen Satz. Atmen – immer schön weiter atmen. Mir fehlen die Worte. Was soll ich sagen. Gefühlt stammele ich die Sätze extrem ungelenk hervor. Ich erkläre ihr, dass mich eine Migräneattacke ereilt habe und das ich bereits Medikament genommen habe. Sie zeigt Verständnis. Fürsorgliches Verständnis. Sie fragt, ob und wann ich in die Tagesklinik kommen kann. Ich erbitte mir mehr bei mir selbst als bei ihr noch eine gewisse Karenzzeit.

Für den Weg zur Klinik nehme ich das Auto. Eigentlich ist mein Zustand nicht recht fahrtüchtig anzusehen. Doch Bus und Bahn kommt nicht in Frage. Zu viele Geräusche, zu viele Gerüche – einfach zu viele Menschen. Die wenigen Kilometer kosten mich unheimlich viel Konzentration – ungemein viel Kraft. Vor der Klinik parken erscheint mir als unklug. Ich steuere eine Nebenstraße an. Fahre bis zum Ende und wähle eine große Lücke zum Parken. Hauptsache keine geistige Leistung erbringen müssen.

Der Weg zur Klinikvilla tut gut. Die Luft ist kühl. Ich melde mich am Dienstzimmer. Mein Unbehagen hat mich immer noch nicht verlassen. Irgendwie erwarte ich mahnende Worte. Doch nichts. Verständnis. Nur Verständnis. Ein wenig Schlaf solle ich mir noch gönnen um dann im weiteren Tagesverlauf in die Therapieeinheiten einsteigen zu können.

Die Luft im Entspannungsraum in der 3. Etage ist stickig. Ein unangenehmer Geruch schlägt mir entgegen. Fenster auf. Kühle Luft macht das Zimmer erträglich. Der Tee dampft bedächtig vor sich hin. Trinken muss ich – nur nicht wieder zurück fallen. Trinken auch wenn mir die Übelkeit jedes Durstgefühl und Bedürfnis nach Flüssigkeit abspenstig macht.

Mit meinem Schal über den Augen verdunkelt sich der Raum. Ein wenig schlafen. Keine Gedanken, die von einer Schädelseite zur anderen prallen. Nach einer Weile höre ich wie die Tür kurz geöffnet wird. Jedoch betritt niemand den Raum. Ich versuche weiter zu schlafen.

Gegen 11 Uhr wache ich auf. Die Schmerzen sind immer noch da. Besser oder schlimmer kann ich nicht einschätzen. Mein Schädel pocht. Zwischenzeitlich habe ich zudem zusätzlich noch Nackenschmerzen. Ich bin enttäuscht von meinem Medikament. Es wirkte nicht. Wirkte nicht obwohl ich bereits die von meiner Hausärztin empfohlene Tageshöchstdosis intus hatte. Ich setzte mich auf und schaute mich um. Neben dem Kopfschmerzen und der Übelkeit überkam mich noch ein weiteres elendes Gefühl. Ein Eindruck des Versagens... Mit der Einstellung, an diesem Tag nichts richtig zu machen, ging ich hinunter zum Schwesternzimmern. Mit der mir möglichsten Überzeugung wollte ich um Entlassung für den restlichen Tag bitten. Wieder erwartete ich nur die schlimmsten Gegenargumente. Doch nichts derartiges geschah...

Ich schlich zurück nach oben und legte die Tagesdecke zusammen. Quälte mir gefühlt noch die Hälfte des Tees hinunter und nahm meine Sachen. Auf dem Weg nach draußen klopfte ich erneut bei den Schwestern an um zu fragen, ob ich mich melden soll, wenn ich in meiner Wohnung angekommen sei. Meine Bezugsschwester grinste bloß. Es wäre nicht notwendig. Soviel Vertrauen würde man in mich setzen... Spaßig fügte sie noch an, dass sie anderen Falles eine Information über das klinikinterne Informationssystem erhalten würden. Verwirrt und ein wenig ungläubig schloss ich die Tür und verließ das Gebäude in Richtung Auto...

Mit jedem Schritt entlang der Straße, mit jedem Atemzug, wurde die Anspannung erträglicher. Sogar Sonne schien mir ins Gesicht. Die Nackenschmerzen ließen merklich nach. Als ich am Auto ankam waren sogar die Kopfschmerzen fast verschwunden. Unentschlossen saß ich im Auto und dachte darüber nach, ob ich zurück gehen sollte. Wog das Für und Wider gegeneinander ab. Scham überkam mich. Hatte ich doch den Eindruck mich mittels Lügen davon geschlichen zu haben. Doch es war nicht gelogen. Es war real. Die Schmerzen waren real. Je mehr ich darüber nachdachte um so schlimmer wurde mein Eindruck.. Nach einer kleinen Ewigkeit startete ich den Motor und fuhr davon...

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