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Gesundheit... - sofern möglich...

Ein Anzeichen meiner Depression kann das wunschlose Unglücklichsein sein. Oder die Unfähigkeit Wünsche und Bedürfnisse zu äußern. Und wenn Wünsche dann erfüllt werden, dann bin ich trotzdem nicht froh darüber...

Einer dieser Wünsche war es, diesen einen Tag nicht in der Tagesklinik zu verbringen. Dieser Wunsch hat sich erfüllt. Zwar nicht ganz so wie ich es mir erhofft hatte – aber der grundsätzliche Wunsch hatte sich erledigt. Dennoch war ich mit dem Zustand ziemlich unzufrieden. Eigentlich wollte ich mich auf meiner Couch in meine Decke hüllen und nichts tun... Einfach nur den Tag verrinnen lassen... Das ging aber nicht. Ich war in der Klinik. Trotzdem blendete ich den Tag so gut wie möglich aus. Ich blieb im Bett und wollte niemanden sehen, niemanden hören und ganz bestimmt niemanden sprechen. Eine ganze Weile funktionierte diese Taktik auch – doch dann war wieder einmal Zeit für die Visite.

In meiner aktuellen Wahrnehmung eine schiere Zeitverschwendung. Nichts Halbes und nichts Ganzes. Nicht Fisch – nicht Fleisch... Leere Worthülsen – gefühlt inhaltsloses Sprechen... Geplänkel. Doch plötzlich stand der Begriff „Belastungserprobung“ im Raum. Gab es eine Wahl? Nicht wirklich... Es stand nur die Entscheidung ob jetzt – zum Jahreswechsel oder zum anschließenden Wochenende. Die Möglichkeit des Abwählens gab es nicht... Daher entschied ich mich in Ermangelung an weiterer Alternativen für den Jahreswechsel.

Aus zeitlichen Effektivitätsgründen wollte ich mich also auf den Weg machen und mein Auto zur Klinik holen. Damit es am nächsten Morgen schneller gehen kann – ich eher auf dem Weg bin... Ich ging also zum Schwesternzimmer und wollte mein Vorhaben kundtun. Doch anstatt Begeisterung spiegelt sich ein leichtes Unverständnis im Blick der Pflegekraft. Und zu Guterletzt teilte sie mir auch mit, dass ich doch eigentlich gar nicht selbst fahren könnte – dürfte – sollte... Wohl eine versicherungsrechtliche Frage... Also noch einmal ein Gespräch mit der zuständigen Ärztin. Im Endeffekt durfte ich das Auto holen und somit auch am nächsten Tag selbstständig fahren. Ein Stück freie Entscheidung war somit erhalten geblieben...

Der Silvestermorgen begann schleppend. Das Aufstehen fiel mir sichtlich schwer – ich hatte das Gefühl einmal mehr etwas tun zu müssen, worauf ich eigentlich nicht gefasst war. Eine bleierne Unlust umgab mich.

Doch endlich fasste ich den Entschluss – auf geht’s! Weitere Prokrastination hätte die Situation auch nicht besser gemacht. Also los! Auf zum Schwesternzimmer und die Medikamente für den Tag holen – schließlich müssen diese ja kontinuierlich eingenommen werden. Ich stand also mit meinen „7 Sachen“ auf dem Flur. Und ich wartete. Ich wartet darauf, dass sich jemand vom Personal zeigte. Das Dienstzimmer war leer und verschlossen. Sollte ich jetzt etwa wegen dieser Unbedeutsamkeit klingeln? Nein! Ich setzte mich und wartete. Ich wartete brav und geduldig. So als ob ich auf den nächsten Bus warten würde. Doch mich beschlich das ungute Gefühl, dass es wieder nicht richtig ist. Wie so oft. Sage ich was, scheint es falsch zu sein – aber warte ich still ab, ist es meist auch nicht der richtige Weg... Wie schon so oft in meinem Leben geschehen. Trotzdem wartete ich... Ein Mitpatient ging vorbei – wir witzelten über die Wartehäuschensituation und mussten kindlich kichern. Meine Laune besserte sich etwas.

Die Schwester hielt mir ein Formular hin. Ich sollte unterschreiben. Ich sollte etwas unterschreiben, mit dessen Inhalt ich so nicht einverstanden war. Ich sollte unterschreiben, dass es mein ausdrücklicher Wunsch wäre, die Klinik für eine Nacht zu verlassen. Doch war es mein Wunsch? Nein! Schon gar nicht mein ausdrücklicher Wunsch. Ich wollte eigentlich hier bleiben und den Jahreswechsel verschlafen. Warum sollte ich auch feiern wollen, dass wieder ein komisches Jahr endete und wohl möglich das nächste komische Jahr bereits bereit stünde. Das nächste Arztgespräch war somit vorprogrammiert. Ein Gespräch auf gefühlt vollkommen verschiedenen Kommunikationsebenen. Die Ärztin verstand mein Anliegen scheinbar nicht. Nach meinem Gefühl konnte sie nicht wirklich erfassen, dass es nicht um die Belastungserprobung an sich und deren Zweck und Inhalt ging. Es ging mir tatsächlich eigentlich nur um die Unterschrift unter diesem, für mein Empfinden unrichtigen Formular. Doch wir sprachen an einander vorbei. Letztendlich unterschrieb ich um des lieben Friedens Willen, packte meine Medikamentenschale ein und fuhr los...

Die Fotoausrüstung, die ich gestern extra noch aus der Wohnung geholt hatte, stellte ich ohne große Beachtung in die Ecke. Ausschließlich die einzelnen Objektive und Filter sortierte ich in den neuen Fotorucksack ein. Doch mehr passierte nicht. Selbst das Aufladen der Akkus war sinnentleert. Ich nutzte die Kameras nicht – weder die DSLR noch die kleineren Kompakten. Das Feuerwerk war mir egal – ich schaute es nur an, weil man es sich anschauen sollte um dann später adäquat mitreden zu können. So verging auch diese gesellschaftskonforme Pflichtveranstaltung.

Der nächste Morgen und somit das neue Jahr begannen entspannt. Das Frühstück fiel aus, denn Hunger stellte sich nicht recht ein. Ich schlief also bis 10 Uhr. Eine wahre Wohltat ohne das morgendliche Weckritual. Auch der weitere Tag plätscherte so vor sich hin und so langsam wurde es Zeit wieder zurück in die Klinik zu fahren. Um die Strecke zu schaffen, musste ich jedoch noch einmal tanken. Ich fuhr also – nachdem ich in der Tankpreis-App nach dem günstigsten Preis geschaut hatte – zur nahe gelegenen Tankstelle.

Als ich zahlen wollte, sah ich mich mit der ersten Überraschung des Abends – den Neuen Jahres – konfrontiert. „Karte abgelaufen“ stand im Display. Und nun? Gut nur, wenn man Rettung in nächster Nähe hat. So konnte ich den Preis doch noch begleichen und mich auf den Weg Richtung Klinik machen. Zur Vorsicht rief ich auf Station an und teilte mit, dass ich mich leider verspäten werden würde. Die Fahrt verlief ruhig – die Menschen schienen noch in einer Art gedämpfter Feiertagsstimmung zu verharren... Es gab kein Drängeln und kein Hupen – einfach nur entspanntes Fahren...

Die zweite Überraschung des Jahres ließ dann aber auch nicht mehr lange auf sich warten. Als ich die Station betreten wollte, sah ich bereits die Pflegekräfte in Schutzkleidung. Es stellte sich heraus, dass die Station von einer Influenza-Welle getroffen war... Die Wunschfloskel „Gesundes Neues Jahr“ wurde im Laufe der nächsten Stundne und Tage schwarzhumorig um „sofern möglich“ erweitert... Von nun an wurden alle Therapien auf Null gefahren – es fanden nur noch die Mahlzeiten und die Visiten in Schutzbekleidung statt. Einige Patient_Innen ließen sich entlassen. Doch ich blieb. Ich hatte mich entschieden den Klinikweg zu gehen und den wollte ich jetzt durchziehen – komme was wolle... Im Endeffekt konnten die, die geblieben sind die Situation nur aussitzen. Aussitzen und die Gelegenheit zur Inneren Einkehr nutzen. Ich tat es – ich sortierte meine Gedanken... So verging die Zeit mit Mundschutz und teilweiser Isolation um eine weitere Verbreitung durch Ansteckung zu vermeiden...

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