Ich saß am Morgen wieder an meinem Blog. Schrieb mir einfach die Gedanken aus dem Kopf. Einfach raus – im ersten Augenblick wollte ich nicht mehr darüber nachdenken. So hatte ich es mir anfänglich überlegt. Obwohl ganz stimmt dies ja doch nicht. Nachdenken werde ich über die einzelnen Punkte immer und immer wieder. Sie verlieren durch das Schreiben jedoch an Intensität. Sie werden erträglicher. Vor allem hören diese unendlichen Grübelschleifen auf. Ich fühle mich danach einfach immer ein klein wenig besser. Manchmal schreibe ich die Situationen am selben Tag nieder. Oft aber schreibe ich sie auch erst ein paar Tage später auf. Es kommt ganz auf meinen inneren Antrieb an. Und es kommt darauf an, wie sehr mich das ein oder andere belastet und bewegt. Zu guter Letzt kann ich die Veröffentlichung ja auch noch über die Web-Seite steuern – eine Möglichkeit, die die Technik bietet. Ich bin froh...
Einige hier auf der Station haben mich bereits gefragt, wie viele Menschen diese Texte lesen. Sie haben mich wahrscheinlich mit meinem Laptop beobachten und beim Schreiben gesehen. Manchmal kam aber auch ganz einfach das Thema in Gesprächen auf... Ich kann die Frage jedoch nicht genau beantworten. Und ganz ehrlich – ich schreibe für mich und für niemand anderen. Doch wenn es jemanden ermöglicht diese Krankheit ein klein wenig besser nachzuvollziehen – vielleicht sogar mich und meine Depression ein wenig besser zu verstehen, dann bin ich dankbar. Dankbar auch deswegen, weil ich dadurch nicht alles immer und immer wieder erzählen muss. Ich kann einfach auf die Webseite verweisen. Und weil ich dann nicht die Bedenken haben muss, dass ich jemanden mit meinen Gedanken überfordern könnte. Dieses fällt mir in Gesprächen immer deutlich schwer. Sind es zu viele Gedanken oder zu wenige Informationen? Oder ist es gar gerade der falsche Moment? Hier kann und muss jede_r für sich selbst entscheiden, was und wann die Blog-Beiträge gelesen werden.
Die Tür ging auf und das Visite-Team stand im Zimmer. Der Blick des heute zuständigen Arztes fixierte mein Bett. Er schien verwirrt. „Keiner im Zimmer“ fragte er seine Begleiterinnen. Doch ich saß doch mit meinem kleine Computer an dem kleine Tisch in der hinteren Ecke des Raumes. Ein wenig musste ich innerlich grinsen. Machte ich einmal das, was man mir empfahl – nicht im Bett liegen und den Tag verschlafen – dann war es auch wieder nicht richtig. Unsere Blicke trafen sich und wir mussten scheinbar gleichzeitig über diesen unausgesprochenen Gedanken schmunzeln.
Eigentlich findet zu normalem Stationsbetrieb am Dienstag immer eine Gruppenvisite im Dachgeschoss statt. Doch was ist aktuell schon normal. Es gab daher heute eine Gruppenvisite ohne Gruppe im Zimmer. Eine angenehme Erfahrung. Vor allem weil es so angenehm wenige Personen waren. Menschen sind mir immer noch suspekt. Besonders dann, wenn sie laut sind. Aktuell war jedoch alles angenehm still.
Im Visitegespräch kamen wir dann unter anderem recht schnell auf das Blog-Schreiben zu sprechen. Der Psychologe erläuterte dabei den Gedankenansatz des therapeutischen Schreibens – einer sogenannten Schreibtherapie. Genau das, was er hierzu erzählte und was ich später im Internet nachlesen konnte, war es was mich die ganze Zeit schon antreibt. Was ich die ganze Zeit über bereits mit meinen Texten versuche und was ich scheinbar auch intuitiv umsetze. Eine sehr interessante Erfahrung. Eine neue Erfahrung die mir gut tut. Das Schöne an meiner Schreibtherapie ist zudem, dass ich selbst entscheiden kann, was für mich wichtig ist. So wichtig, dass ich es aufschreiben und dadurch auch ein wenig festhalten will. Festhalten und gleichzeitig loslassen. Oft sind es nur einzelne Punkte des Tages. Manchmal gehen auch ganze Tage scheinbar unter oder verschwimmen ein wenig ineinander. Und das ist gut so. Ich finde, dass sich mein Schreiben daher von einem altbekannten Tagebuch unterscheidet. Oder vielleicht auch nicht. Vielleicht habe ich auch ganz einfach nur zu verstaubte Vorstellungen von papiernen Tagebüchern. Doch gleichzeitig bewundere ich alle, die Stift und Papier zur Hand nehmen und ihre Gedanken damit festhalten... Mein Weg ist anders. Es ist mein Weg. Und meine Umsetzung ist dieses hier...
Der Arzt fragte mich nach meinen weiteren Tagesplänen. Ich solle mein Empfinden auf einer Skala von 1 bis 10 positionieren. Nach kurzem Überlegen konstatiere ich eine 5. Er fragt mich was denn vielleicht noch getan werden könnte um diese Einordnung noch auf der Skala zu steigern...
Zum Abschluss gab das Visite-Team noch bekannt, dass heute für heute eine andere Art der Ergotherapie geplant sei. Ergotherapie mal anders. Man hatte sich überlegt, dass endlich wieder ein wenig Therapieangebot in unseren Alltag einziehen soll. Aus hygienischen und infektiologischen Gründen durfte diese Einheit laut Anweisungen aber nur im Freien stattfinden. Treffpunkt war daher nach der Mittagszeit das kleine Rondell vor dem Haupteingang. Es hatten sich einige Patient_innen der Station an der verabredeten Stelle eingefunden. Wir beratschlagten mit der verantwortlichen Therapeutin, wohin uns unser Weg in der nächsten Stunde denn führen könnte. Schließlich gingen wir einfach der Nase nach in Richtung des kleine Flüsschens. Nicht in Richtung der Graffitiwand sondern entlang des altehrwürdigen Wohngebietes in Richtung Stadtrand. Es war ein angenehmer Spaziergang. Nicht zu weit und auch nicht zu anstrengend. Obwohl einige Steigungen auf unserem Weg lagen. Vereinzelt entstanden kleine Gespräche untereinander. Teilweise liefen wir aber auch einfach nur zufrieden schweigend nebeneinander her. Keine Unterhaltung wurde erzwungen. Was für mich wiederum eine zufriedenstellende Erfahrung war.
Plötzlich tauchte am Wegesrand ein kleiner Spielplatz auf. Ein liebevoll gestalteter Kinderspielplatz. Ein Spielplatz mit Schaukel, Wippe, Klettergerüst und einer Rutsche. Wie schnell erwachsene Menschen doch in den Spielmodus abgleiten können. Einfach faszinierend. Höher und immer höher trieb es ihn auf der Schaukel. Glücklicherweise war ein Überschlag schon mit technischen Vorrichtungen – wohl wegen der Sicherheit – ausgeschlossen. Ich bin überzeugt, sonst hätte er den Ritt bestimmt gewagt. Auch die kleine Wippe, welche in Form zweier Bienchen gestaltet war, fand schnell kindlich begeisterte Nutzerinnen.
Im Einzelgespräch kam die Ärztin wieder auf die Modi-Einteilungen der Schematherapie zusprechen. Ich hatte doch tatsächlich die letzten Tage genutzt und mich immer mal wieder mit den Übersichten aus der letzten Sitzung beschäftigt. Als sie meine farblichen Markierungen sah, lächelte sie mich scheinbar erleichtert an. Doch diese Erleichterung schwand als der Fokus auf die Situationsbögen fiel. Mein Inneres stellte sich in den letzten Tagen bereits bei der Spalte „Situation“ quer. Ich fragte mich und dann auch sie, wie ich denn dazu noch die weiteren Spalten ausfüllen sollte. Etwas ausdenken – nur weil ich denken, dass das Ausfüllen erwartet wird, wollte ich nicht. Es hätte mich nicht weiter gebracht. Sie nickte mir angesichts dieser Erkenntnis zustimmend zu.
Doch sie blieb hartnäckig. Der kleine Versuch eines Ablenkungsmanövers schlug fehl. Mist – durchschaut. Also hingen wir wieder bei der Spalte mit der Situationsbeschreibung. Mir war immer noch nicht klar, was ich da notieren solle. Ich war ratlos. Genauso ratlos wie ich bei der Gefühlsspalte bin. Ja man spricht ständig von Gefühlen. Doch was sind denn diese Gefühle? Wofür stehen die einzelnen Begrifflichkeiten? Ich kann es nicht sagen. Und ich bin deswegen verwirrt. Ziemlich verwirrt sogar. Zu besseren Orientierung gibt sie mir am späteren Nachmittag eine Übersicht mit einer Zuordnung von Adjektiven zu den einzelnen Gefühlskategorien. Vielleicht hilft mir dies ja weiter.
Schlussendlich konnte ich den Vorschlag, eine Situation gemeinsam zu notieren, nur ablehnen. Erweckte die Vorstellung in mir doch eher den Eindruck von gekünstelter Prosa als von wahrhaftiger Verarbeitung der Geschehnisse...
Zum Ende des Gespräches gab es trotz meines Listenüberdrusses noch eine weitere Übersicht. Wieder ein Schaubild zum Ausfüllen. Trotz des stockenden Anfanges – schließlich war es erst das zweiten Gespräches innerhalb meiner Zeit auf Station – wurde mir klar, dass es trotz der bisherigen Zweifel gut tat. Einzelne Punkte waren bereits zur Sprache gekommen und sei es nur um die Themen einmal kurz anzusprechen. Es wird wohl noch ein langer Weg werden. Die Hauptarbeit wird dabei wohl in der Tagesklinik und eventuell auch noch darüber hinaus anstehen... Daher ein Schritt nach dem anderen... Auch bei große Themen muss der Anfang mit kleinen Schritten begonnen werden...
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