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Münchner Freiheit

Es ist bereits kurz vor 1 Uhr mittags als ich aufwache. Die Nacht war unruhig. Ich wache müde auf, obwohl ich mal wieder mehr als 12 Stunden geschlafen hatte. Doch erholsam war dieser Schlaf nicht. Ich schaue auf mein Telefon – einige Nachrichten sind auf dem Display angezeigt. Allein drei davon von meiner heutigen Konzertbegleitung. Plötzlich klingelt das Handy. Nein – eigentlich klingelt es nicht – es leuchtet nur. Ich habe es immer noch nicht geschafft den Ton wieder anzuschalten. Allein schon das übertragene Vibrieren, welches mir einen Anruf oder eine Nachricht auf der Uhr anzeigt, lässt in mir Unruhe aufkommen. Ich starre das leuchtenden Display an und hoffe, dass bald die Mailbox den Anruf entgegen nimmt. Mein Wunsch geht in Erfüllung. Der Anruf verstummt und ich erhalte eine Mitteilung, dass mich meine blonde Begleiterin versucht hat zu erreichen, jedoch keine Nachricht hinterlassen hat. Ich war froh. Ich lese die WhatsApp-Nachrichten und antworte. Sie fragt mich ein wenig verunsichert, ob ich tatsächlich kommen würde. Die Frage macht mich ein klein wenige wütend. Wütende und traurig. Habe ich doch zugesagt – und Versprechen, die ich mache werde ich auch halten. Ich schreibe ihr, dass ich gegen 16 Uhr bei ihr sein würde. Ihre Antwort wirkt beruhigt.

Ein wenig Zeit hatte ich noch bevor ich abfahren wollte. So suchte ich meine kleine Kamera und dazu gehörende Ersatzakkus heraus. Kurze Zweifel überkamen mich. Doch ich nahm die kleine Knipse. Die größeren Exemplare würden wohl eh nicht durch die Sicherheitskontrollen passen. Nun nur noch einmal das Handy aufladen und dann los.

Als ich mir ein passendes Oberteil suchte, fand ich keines. Also ich fand schon einige, doch keines davon schien gut genug zu sein. Schließlich entschied ich mich und siehe da – ein großer Fleck prangte mitten auf der Brust. Meine Stimmung senkte sich. Nichts klappte. Aber auch gar nichts... Kein eigenes Vertrauen zu mir. Scheinbar auch kein Vertrauen anderer in mich, dass ich meine Versprechen halte. Und ja – eigentlich wollte ich mein Versprechen gerade nicht halten. Eigentlich wollte ich nur schlafen – unendlich schlafen... Doch ich hatte es ihr versprochen. Einen schönen Abend versprochen. Und ich hatte ihr versprochen, dass ich nichts dagegen hätte, dass eine ihrer Freundinnen mitkommen würde... Nur dieser Gedanke hing mir gerade schwer im Magen...

Die Ankunftszeit entsprechend Navi im Auto schickte ich meiner hübschen, blonden Begleitung per Handy zu. Eine Stunde Fahrtzeit und ich würde bei ihr ankommen. Eine Stunde Autobahn. Eine Strecke, die ich schon so oft gefahren bin und die mir trotzdem so unendlich weit vorkam. Doch ich fuhr. Ich fuhr ruhig und meine Stimmung verbesserte sich mit jedem Kilometer und jedem Lied, welches ich mir vor dem Konzert noch einmal anhörte. Anhörte um die Texte zumindest ein wenig zu kennen. Um die Texte im Zauber des Momentes vielleicht doch mitsingen zu können. Viele bekannte Songs. Songs, die ich kannte aber auch welche, die ich bis dahin nicht mit der Band in Verbindung gebracht hatte. Songs die aber weitaus bekannt sind. Mit einer minütlichen Punktlandung kam ich bei ihr an. Parkte vorm Haus und schellte an der Tür. Die mir bis dahin unbekannte Freundin öffnete ganz selbstverständlich. Sie wirkt sympathisch. Dunkle kurze Haare und eine doch etwas auffälligerer Lidstrich unter den Augen. Ich husche noch einmal schnell auf die kleine Gästetoilette und dann geht es auch schon los. Noch eine Stunde Fahrt bis zum eigentlichen Ziel. Doch nun nicht mehr einfach über die Autobahn. Autobahn, die ohne großes Nachdenken bewältigt werden kann. Jetzt geht es auf den hügeligen Landstraßen dem Konzert entgegen. Plötzlich begann es zu regnen und schließlich auch ein wenig zu schneien. Darüber war ich überhaupt nicht begeistert. Doch der Weg war uns hold. Bis auf zwei brenzlige Situationen. Ich erschrak als ich im Gespräch mit den Mädels die Konzentration auf die Straße verlor. Herzklopfen bis zum Hals. Doch es war gut gegangen. Zum Glück war nichts passiert. Schließlich habe ich zwei Menschen im Auto die noch gebraucht werden...

Als wir am Ort des Konzertes ankamen, war die Warteschlange für den Einlass noch recht überschaubar. Bei unserem letzten gemeinsamen Konzert Ende Oktober 2018 an selber Stelle war die Warteschlange bei unserer Ankunft bereits schon viel viel länger gewesen. Doch hier ging es wieder ganz ruhig und entspannt zu. Kein Drängeln und kein Schubsen. Dieser Ort scheint eine beruhigende Wirkung auf seine Gäste zu haben. Wir betraten das Gebäude. Schnell noch einmal auf die Toilette bevor es 500 Meter nach unten ging. 500 Meter hinab in den Untergrund. In die besondere Konzertkulisse. Daher schnappten wir uns jeweils einen weißen Schutzhelm. Die Reihen vor und hinter uns nahmen ein wenig die Ansicht eines Eierkartons an. Und wir mittendrin. Die Fahrt im Förderkorb ging schnell abwärts. Aber es kam mir langsamer vor als bei der ersten Einfahrt zum damaligen Konzert. Die letzten Stufen vom Fahrstuhlschacht nach unten ging es zu Fuß über eine steile Metalltreppe und dann durch eine Art Luftschleuse hinein ins eigentliche Bergwerksabenteuer. Bis zum eigentlichen Konzertort waren es nun noch einige Meter – genau genommen ganze zwei Kilometer. Mit einem kleinen Transportwagen vergingen diese wie im Flug. Wir nahmen wie die anderen Konzertbesucher_innen auf der mit Sitzbänken versehenen Ladefläche platzt. Jeweils eine Sitzbank war an der linken und rechten Seite des Wagens angelegt. Eine weitere war direkt in der Mitte der Ladefläche. Keine Ahnung wie viele Personen hier auf einmal Platz fanden. 20 bis 25 Menschen vielleicht oder gar ein paar mehr... Wie witzig es jedoch war, dass sich wieder keiner so recht auf die Mittelbank traute. Auch meine beide Begleiterinnen waren etwas zurückhaltend was die Mitte betraf. Doch ich ergriff die Gelegenheit und setzte mich ganz nach vorn an den Rand. Hier hatte ich nicht nur einen guten Blick auf die Strecke, die nun vor uns lag sondern auch eine gute Gelegenheit mich an der vorderen Kante der Ladefläche festzuhalten. Somit beschloss ich die Fahrt in Bild und Ton für später aufzunehmen. Zwei Vorteile hatte dieser Platz. Sehen wo die Strecke entlang geht und dadurch besseren Halt finden können. Diese Vorteile nahmen mir aber auch ein wenig den Spaß der Überraschung. Doch ich war ganz froh, denn waren die ganzen Eindrücke an sich schon anstrengend genug.

Der Saal füllte sich allmählich und wir suchten uns einen Sitzplatz. Nicht zu weit hinten aber auch nicht zu weit vorn. Da freie Platzwahl war belegten wir wie am Strand drei Stühle mit unseren Jacken und gingen zurück in Richtung Bar. Mir war nach Alkohol. Alkohol betäubt. Doch konnte ich nicht noch mehr riskieren. Wir hatten bereits vor dem Eingang ein Sektchen genossen. Eigentlich schon viel zu viel Risiko angesichts der Fahrtzeit. Meine Unvernunft sagte mir aber, dass es noch genügend Zeit bis zur Rückfahrt wäre... So lies ich mich von mir selbst unvernünftig zum alkoholischen Getränk überreden. Und so auch wieder an der Bar. Kein Bier – soweit konnte ich beherrschen – aber ein Mischgetränk – Radler... Trotz liebenswert mahnender Blicke meiner blonden Begleiterin. Die sich sorgte. Sorgte um sich, um uns, scheinbar auch um mich... Als ich den ersten Schluck getrunken hatte, fühlte ich mich elend. Unverantwortlich... Doch ich trank weiter... Das Konzert begann... Es war toll. Viele bekannte Lieder drangen in mein Ohr... berührten mich in den Gedanken und in der Seele... Doch Tausend Augen fühlte sich am stärksten an...


[…]

Es ist Mitternacht Und die Stadt wird leer Der letzte Bus Hat noch einen Passagier Dann wird es einsam hier

[...]

Tausend Augen Und Fragen über Fragen Und niemand kann mir sagen Warum ich traurig bin Tausend Wünsche Und Lichter in der Ferne Und über mir die Sterne Verlieren ihren Sinn In der Nacht Hier und irgendwo In der Dunkelheit Kann ich Schreie hören Doch ich kann sie nicht verstehen Nur Schatten kann ich sehen

[…]


Ich genoss die Zeit. Die Musik. Die gemeinsamen Minuten der Leichtigkeit. Ich fühle mich den beiden verbunden. Verbunden obwohl wir uns noch nicht lange kennen. Lange im Sinne von viel gemeinsamer Zeit. Aber dennoch nahe. Ich fühlte mich seit langem für die wenigen Stunden nicht mehr verloren in einer Menschenmenge...

Die Rückkehr an die Oberfläche dauerte etwas. Aber das kannten wir bereits von der letzten Veranstaltung. Die ersten Konzertgäste waren bereits vor der Zugabe in Richtung Ausgang geeilt. Auch das kannten wir bereits... Doch wir hatten das Konzert bis zum letzten Takt – zum letzten Ton eingesogen. Jede Strophe genossen und jeden Lichtstrahl in uns aufgenommen. Wir saßen also auf unseren Plätzen und warteten darauf, dass sich die Schlage vor der Ausfahrt ein wenig lichtete. Plötzlich huschte der Sänger der Band durch den Saal. Einige der noch Anwesenden konnten ihren Augen nicht glauben. Es war Autogrammzeit... Und auch wir stellten uns an der Schlange an. Auf der einen Seite, weil meine Blonde unbedingt ein Foto mit ihm haben wollte. Ein obligatorisches Beweisfoto, wie sie immer zu sagen wagte. Auf der anderen Seite weil wir genügend Zeit bis zur Ausfahrt hatten... Und ich wollte einen Beweis auf meiner Karte haben. Einen Beweis dafür, dass es real war. Das es nicht nur ein schöner Traum war...

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