Der Tagesablauf hatte sich auch im Neuen Jahr nicht geändert. Je nach dem wer den Weckdienst übernehmen musste fiel das morgendliche Ritual aus. Obwohl – eigentlich fiel es sehr sanft aus. Es gab keine überfallende Festbeleuchtung mit allen Leuchtmitteln des Zimmers noch einen militärischen Weckruf. Es wurde freundlich „Guten Morgen“ gewünscht und der notwendige Appell „Aufstehen“ ins Zimmer gesandt. Bestimmend - aber nicht abschreckend. Und plötzlich bohrte sich ein Fieberthermometer in mein Ohr – ach ja da war ja was – Schutzmaßnahmen vor weiterer Verbreitung einer Ansteckungsgefahr.
Wir sollten auch alle in den Zimmern bleiben – Vorsicht ist eben ein hohes Gut... und besser ist besser... Somit gab es heute und auch in den nächsten Tage Roomservice zum Frühstück, Mittagessen und auch abends. Ab und an durften wir auch die Mahlzeitentabletts wie gehabt an der Essensausgabe abholen und anschließend wieder zurück bringen. Doch heute wurden die Tabletts vorerst einmal gebracht...
Fast gleichzeitig brachte eine andere Pflegekraft ein winziges Plastikbecherchen mit der Tamiflu-Tablette. Diese sollte einer weiteren Ansteckung vorbeugen. Den Sinn und Zweck der Einnahme, welche ärztlich angeordnet wurde, hatte die Nachtschwester mit den engelsgleichen blonden Löckchen bereits gestern Abend – zumindest in unserem Zimmer und ich glaube nicht nur hier – ausführlich erläutert. Eine weitere Erläuterung war aus meiner Sicht auch obsolet. Es gab nur zwei Varianten – schwarz oder weiß – nehmen oder nicht nehmen. Diese freie Entscheidung musste nun jede_r bisher nicht erkrankte, eigenständig für sich selbst treffen. Etwas dazwischen gab es nicht. Schließlich kann man eine Tablette nicht nur ein wenig einnehmen. Entweder ich lasse mich auf ein Medikament ein. Oder ich tue es nicht. Für mich jedenfalls war das Argument bei einer vorschriftsgemäßen Einnahme der Tablette in den nächsten Tagen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit besser vor einer Ansteckung mit dem Influenza-Virus geschützt zu sein vollkommen ausreichend. Die Grippe im letzten Frühjahr und deren Nachwirkungen waren mir noch allzu gut und schmerzhaft in Erinnerung geblieben.
Doch diese einfachen Argumente war nicht für alle ausreichend. Meine Zimmergenossin wollte unbedingt einen Arzt sprechen und mit diesem alle Eventualitäten der Einnahme erläutern. Schwierig... Die Ärzteschaft war in meiner Wahrnehmung gerade mit genügend anderen Dingen beschäftigt. Dingen wie der Organisation des nun zu ändernden Stationsablaufes und der Betreuung und Behandlung der tatsächlich bereits infizierten Mitpatient_Innen. Und davon schien es genug auf dieser Etage zu geben. Es hingen genügend Informations- und „Sperr“-Schilder an den jeweiligen Zimmertüren. Eine weitere Ausbreitung im Klinikum war ebenso nicht wirklich erstrebenswert. Daher auch die ganzen Vorsichtsmaßnahmen.
Die Schwester versuchte daher mit anfangs stoischer Ruhe und Gelassenheit den Sinn und Zweck der Einnahme erneut zu erläutern. Selbst die gängigsten Nebenwirkungen gab sie offen zu Gehör. Doch das nützte alles nichts. Eine Diskussion war vorprogrammiert. Eine ziemlich sinnfreie Diskussion. Eine Diskussion über die Wahrscheinlichkeit des Eintretens einzelner Nebenwirkungen. Ja jedes Medikament hat Nebenwirkungen. Alles im Leben hat Nebenwirkungen. Jedes Gespräch und sei es in dem Augenblick noch so belanglos, hat Nebenwirkungen. Manche zeigen sich direkt – Andere werden erst nach Minuten, Tagen, Wochen oder gar Jahren sichtbar. So ist es auch mit den sogenannten Nebenwirkungen von Tabletten oder anderen Stoffen. Und ganz sarkastisch ausgedrückt – das Leben an sich hat extreme Nebenwirkungen – es kann gute Stimmung verbreiten und miese Laune hervor bringen. Es kann Freude hervor rufen – aber auch Krankheiten. Alles was wir im Leben tun oder nicht tun, endet mit einer Wirkung und auch mit den „Nebenwirkungen“. Und schließlich – das Leben ist an sich tödlich! Ich habe zumindest noch von keinem gehört, der das es überlebt hätte...
Die losgebrochene Diskussion setzte sich jedenfalls fort. Auch der etwas hilflos wirkende Hinweis auf die Informationen im „Alles-Wissenden-Internet“ führte nicht zu einer Entscheidung. Sie wollte einen Arzt sprechen. Sie wollte sich nicht selbst zwischen Nehmen oder Nicht-Nehmen entscheiden. Sie tat es einfach nicht. Nicht nur die Schwester war zwischenzeitlich leicht angenervt von diesem abstrusen Dialog, sondern ich mittlerweile ebenfalls. Sollte ich was sagen? Sollte ich meine Meinung zu diesem komischen Gespräch kundtun? Nein... Ich versuchte neutral zu bleiben. Aber ging dies denn überhaupt? Ich nahm das Becherchen mit meiner Tamiflu-Dosis entgegen und nahm die Tablette mit einem großen Schluck Tee. Ich hoffte inständig, dass dies zu einer Art Herdentrieb führen würde... Weit gefehlt... Die Krankenschwester stellte den Tablettenbecher der Mitpatientin auf deren Nachtisch und verließ unser Zimmer.
Inzwischen hatte ich mich aus dem Bett ins Bad gestohlen und mich nach der Morgentoilette in die bequeme Krankenhaustagesbekleidung gesteckt. Diese zeichnete sich durch eine weite Freizeithose und ein schlabbriges T-Shirt aus. Weshalb sollte auch die Kleidung unbequem sein, wenn schon die Seele an allen Ecken und Enden des Körpers zwickt und kneift.
Die Frühstückstabletts standen immer noch auf dem kleinen quadratischen Tisch. Kaffee wurde bereits auch durch den heutigen Zimmerservice gereicht. Ich nahm Platz. Meine Zimmerkollegin lag immer noch im Bett. In einer Art Starre, welche sich zwischen Aufstehen und Liegenbleiben festgesetzt hatte. Scheinbar wieder eine Entscheidung, welche sie nicht selbst treffen wollte.
Schließlich konnte ich sie doch noch zum Frühstücken animieren. Wir saßen uns also am Tisch gegenüber und jede mümmelte ihr Frühstücksbrötchen in sich hinein. Viele Worte fielen erst einmal nicht. Doch dann schlich sich erneut eine Gespräch über den Sinn und Zweck des Klinikaufenthaltes und der jetzigen Situation und des eigenen Handelns ein. Ich hatte das Gefühl, dass wir uns dabei immer wieder im Kreis drehten. Solche Situationen und Gesprächs-“Runden“ hatten wir immer wieder seitdem sie kurz vor dem Weihnachtsfest in die Klinik kam. Mal „intim“ im Zimmer oder auch mal in größerer Beteiligung im Aufenthaltsbereich. Die Unterhaltungen liefen fast immer nach ein und dem selben Schema ab. Mantra-artig sinnierte sie über ihren Klinikaufenthalt. Über den Sinn und Zweck der einzelnen Therapieangebot. Darüber ob das alles etwas bringen mag oder nicht. Doch am meisten schien sie die Frage nach der Richtigkeit der Entscheidung zu bewegen. Dieser Entscheidung, welche ihr wohl möglich durch ihren Arzt und die Ärzte hier in der Klinik abgenommen worden war. Denn irgendwie schwang immer ein Fluchtreflex in jeder Aussage mit. Aber diese Entscheidung konnte ihr niemand abnehmen.
Auch könnte ich behaupten, dass mir die Entscheidung für einen erneuten Anlauf mit der Hoffnung auf ein zufriedeneres Leben von meinem „Haus- und Hofpsychiater“ abgenommen wurde. Abgenommen - in dem Moment als er in meinem elenden Zustand einen sinnvollen Gegenvorschlag zur Tagesklinik von mir haben wollte. Doch letztendlich habe ich die Entscheidung für die Tagesklinik selbst getroffen. Wenn ich ehrlich darüber nachdenke, dann habe ich mich bereits in der Arztpraxis dazu entschieden. Zwar nicht wirklich bewusst, aber durch konkludentes Handeln. Dem schlüssigen Handeln indem ich nicht nach einem Ausweg – einer Ausrede – aus der vorgeschlagenen Situation suchte. Und dann endgültig durch die tatsächlich bewusste Entscheidung diese Chance zu nutzen. Die Entscheidung war mir nicht leicht gefallen – sie hat auch einige Tage in Anspruch genommen. Diese Entscheidung war auch Kräfte zehrend und ist es immer noch. An dem einen Tag mehr an dem anderen weniger. Doch sie war – sie ist mit allen Konsequenzen richtig.
Wir saßen also da – in unserem Patientenzimmer – in unsere kleine Isolationszelle. Und drehten uns mal wieder gedanklich im Kreis. Diese Runden hatten wir in den letzten Tagen bereits regelmäßig unternommen. Ich war mir daher nicht sicher, ob es richtig war, sie immer wieder bei ihren Gedankenspielchen zu unterstützen. Oder ob dies nicht ein Verharren in einer ungesunden Grübelschleife befördern würde.
Plötzlich erzählte sie mir, dass sie eine Anruf erhalten habe. Einen Anruf mit möglicherweise brenzligen Konsequenzen. Doch sie wusste nicht wie sie damit umgehen sollte. Ich gab ihr ein paar kleine Tipps, die auf meiner Sicht auf die Dinge fußten und sie verließ das Zimmer. Ordentlich mit Mundschutz und nach entsprechender Händedesinfektion geschützt – versteht sich.
Ich hoffte auf ein paar Minuten Ruhe. Die Situation an sich und die vorausgegangenen Tage steckten mir gefühlt ganz schön in den Gliedern. Und die derart geprägten Gespräche taten ihr übriges. Gedanken ordnen – mehr wollte ich nicht. Nach wenigen Minuten ging jedoch die Zimmertür auf. Ich war enttäuscht. Doch nicht meine Mitpatientin sondern ein Oberarztdoppel zur Visite stand im Raum. Die Oberärztin konnte ich wieder erkennen. Sie hatte bereits an einem Wochenende Dienst. Der zweite Oberarzt war mir aber noch unbekannt. Er stellte sich freundlich vor und übernahm dann im weiteren auch die Führung im Gesprächsverlauf. Die Ärztin war scheinbar vornehmlich für die einzelne Dokumentation in der Akte zuständig.
Hinter dem Mundschutz konnte ich die Mimik der beiden nur eingeschränkt oder besser gesagt - gar nicht erkennen. Seine Art zu sprechen war jedoch von einem freundlichen Grundton geprägt. Er erklärte mir die aktuelle Situation zu den getroffenen Vorsichtsmaßnahmen und fragte nach meinem Befinden. Ich war froh, dass meine Mitpatientin nicht im Zimmer war. Sie hatte vor Krankheiten Angst aber auch vor Medikamenten. Und ich konnte seine Frage eigentlich nur ehrlich beantworten. Diese Ehrlichkeit beinhaltete die Information über leichte Hals-, Kopf- und Gliederschmerzen. Wobei diese auch eine Nebenwirkung der neuen Medikamente sein konnten. Seit einigen Tagen erhielt ich ja auch eine Umstellung auf ein neues Psychopharmaka. Wir schauten uns daher alle an und nickten uns hinter den Mundschutzschnuffies viel sagend zu. Die Blicke deuteten, dass wir nicht und überbordende Panik verfallen und die Symptome erst einmal beobachten werden. So sei es... Das Visite-Team zog erst einmal zum nächsten Patientenzimmer weiter – vorerst ohne mit meiner Bettnachbarin gesprochen zu haben.
Es dauert nicht lange und sie war wieder zurück. Sie konnte ihre Dinge aus dem Telefonat klären. Ich berichtete ihr, dass die Visite gerade da gewesen sei und prompt wollte sie hinterher. Ich konnte sie – aus meiner Perspektive – glücklicherweise noch von diesem Vorhaben abhalten. Sie kann nicht immer im Mittelpunkt stehen, doch das muss sie wahrscheinlich noch lernen. Hoffentlich wird dieser Lernprozess nicht eines Tages noch richtig schmerzhaft werden.
Sie setzte sich wieder auf ihre Bettkante und wir führten unser Gespräch weiter. Wieder und wieder um den einen Punkt – den Punkt der Entscheidungsfindung – kreisend. Heute stand neben der Entscheidung, die Therapieangebote der Klinik endlich anzunehmen auch noch die Entscheidung für oder gegen das Grippemedikament im Raum. Ich versuchte ihr daher wieder und wieder mit meinem laienhaften Erfahrungsschatz einen anderen Blickwinkel auf die Gegebenheiten zu ermöglichen. Einen Blick aus der – wie ich vor Jahren einmal gelernt hatte – sogenannten Metaebene. Doch für wen tat ich das eigentlich? Für wen tat ich mir diese Dialogschleifen Tag für Tag immer und immer wieder an? Für sie? Für die Belegschaft der Station? Für die anderen Patienten? Oder etwa doch für mich?
Wenn ich intensiv darüber nachdenke, wahrscheinlich vornehmlich für mich selbst. Nicht weil ich mit meinem laienhaften Geschwätz vor irgendjemanden glänzen will. Nicht weil ich mich in den Vordergrund drängen will – auch wenn dies manchem Außenstehenden vielleicht ab und an so vor kommen mag. Auch nicht weil ich etwas ganz besonderes sein will – sondern einfach nur, weil ich meine Ruhe haben möchte. Meine Ruhe um meine eigenen Gedankenspielchen endlich zu beenden. Meine Ruhe um endlich heraus finden zu können, was eigentlich der wirkliche Grund meiner aktuellen Situation ist. Meine Ruhe um den Sinn M-E-I-N-E-S Lebens zu ergründen. Und vor allem meine Ruhe um endlich mit mir und meinem Leben klar zu kommen.
So versuchte ich erneut, ihr - aus Selbstfürsorge für mich – durch Fragen, welche mir – sofern sie mir von den richtigen Menschen im richtigen Moment richtig gestellt wurden waren – immer wieder bei meinen Grübeleien geholfen haben, den ein oder anderen Perspektivwechsel und somit andere Denkansätze zu ermöglichen. Doch ich habe immer mehr das Gefühl, dass es weder die richtigen Fragen zum richtigen Zeitpunkt waren, noch das ich die richtige Person bin.
Das Oberarztvisitendoppel kam noch einmal in unser Zimmer und erläuterte auch ihr noch einmal die ganze Situation. Sei gaben ihr auch die Möglichkeit sich zu entscheiden. Entscheiden für oder gegen das Medikament gegen die Influenza-Viren und auch die Entscheidung für oder gegen den Klinikaufenthalt an sich. Es war schwierig und ein Entschluss zeichnete sich nicht ab. Der Gesprächsreigen war wieder an seinem Anfang angekommen. Und ich wieder mitten drin. Obwohl – in diesem Augenblick augenscheinlich nur dabei. Aber selbst dies war mir zu viel. Ich versuchte mich hinter meinem Buch zu verstecken. Doch als so einfach erwies sich dieser Plan nicht.
Wenn ich gekonnt hätte, dann hätte ich am liebsten gebrüllt „Entscheide dich endlich und raube uns nicht die letzten Nerv und wertvolle Lebenszeit!“ Doch das wäre wohl unangemessen und völlig unhöflich gewesen. Daher hielt ich inne und ertrug diese Diskussion. Hätte ich vielleicht auch einfach nur den Raum verlassen sollen? Ich tat es nicht, obwohl es vielleicht meiner Selbstfürsorge gut getan hätte.
Die Oberärzte konstatierten erneut noch einmal die im Raum stehenden Möglichkeiten und baten um eine Entscheidungsfindung innerhalb einer gewissen Zeitspanne. Daraufhin verließen sie den Raum und wir waren mit meiner gefühlten Hilflosigkeit und inneren Enttäuschung über mich selbst und ihrer Entscheidungsunfähigkeit allein.
Sie war immer noch nicht zufrieden. Langsam fragte ich mich wirklich, ob sie erwartet, dass ihr jemand diese Entscheidungen abnimmt. Zu guter Letzt wollte sie nun noch einmal mit ihrem Klinikpsychologen sprechen. Ich fragte mich wirklich „Wozu?“... Alle Argumente waren doch schon mehrfach intensiv dekliniert worden.
Nach einer geraumen Zeit kam der zuständige Psychologe - der mit den langen blonden, zu einem Zopf gebundenen Haaren - zu ihr. Er bot ihr tatsächlich das von ihr vehement gewünschte Gespräch an. Sie begannen zu reden. Wieder eine Situation in der ich nicht sein wollte – die mir mehr als unangenehm war. Ich bot an, dass ich den Raum verlassen könne. Ich bin mir nicht sicher ob er aus diesem Grund oder bereits vorher geplant, das nun anstehende Klärungsgespräch in seinem Büro fortsetzte. Ich jedoch war froh – mein Angebot war von gesunder Selbstfürsorge geprägt gewesen – auch wenn mir das in diesem Moment überhaupt nicht so bewusst war.
Als das Gespräch beendet war, begann sie ihre Sachen zusammen zu packen. Wer auch immer die Entscheidung getroffen hatte – sie war getroffen. Die ständige Ambivalenz zwischen gehen und bleiben hatte einen Pol gefunden. Und mir summte wie schon so oft in den letzten Tagen der Song von The Clash mit dem Titel Should I Stay or Should I Go durchs Hirn... Vor allem der Refrain trifft die Misere wunderbar:
Should I stay or should I go now?
Should I stay or should I go now?
If I go there will be trouble
An' if I stay it will be double
So come on and let me know
Soll ich jetzt bleiben oder soll ich gehen?
Soll ich jetzt bleiben oder soll ich gehen?
Wenn ich gehe, wird es Ärger geben
Und wenn ich bleibe, wird er doppelt so groß
Also komm und sag es mir
Sie packte ihre Sachen – doch nicht alle. Also doch keine eindeutige Entscheidung. Ich hoffte nur, dass sie dies mit dem Pflegepersonal so kommuniziert hatte. Man hatte ihr zwar gesagt, dass sie wieder kommen könne sofern es überhaupt nicht ginge – frühestens jedoch nach Ende der Quarantänemaßnahmen. Ich zweifelte tatsächlich daran, dass dies so gemeint wäre. Einfach persönliche Dinge im Patientenzimmer lassen und davon ausgehen, dass dann auf einen gewartet wird. Meine Zweifel teilte ich ihr diesmal unverblümt so mit. Doch sie war sich sicher. Nachdem sie den vorläufigen Entlassungsbericht für ihren ambulanten Arzt in den Händen hielt war sie dann auch ganz rasch verschwunden.
Nun war ich allein in meinem Vorsichtsmaßnahmen-Isolationszimmer. Und ich war froh darüber. Nicht weil ich sie nicht mag – sondern einfach nur wegen der damit verbundenen Ruhe. Ich genoss diesen Zustand.
Kurz vor dem Abendessen kam eine junge Frau, welche gerade ihren Bundesfreiwilligendienst in der Klinik ableistete herein und begann die restlichen Sachen zusammen zu packen. Sie teilte mir – als sie meinen irritierten Blick sah - mit, dass sie auch alles desinfizieren und reinigen solle. Ich war verwirrt. Hatte mir meine Bettnachbarin nicht gesagt, dass alles geklärt wäre und sie ihre verbleibenden Sachen im Zimmer, auf dem Bett und im Schrank belassen könne. Ich stellte mal wieder fest, dass Kommunikation echt kompliziert sein kann...
Schließlich war ich tatsächlich ganz allein in dem Zimmer mit der lindgrünen Wand. Dieser Farbton dominierte auch den hiesigen Flurbereich. Je nach Station wurde ein anderes Farbkonzept verwandt. Und dieses Grün wirkte auf mich erfrischend beruhigend. Das Orange der anderen Station wäre wohl nicht so ganz meine Wohlfühlfarbe gewesen – aber ich war ja im grünen Bereich gelandet...
Das Kommunikation echt blöd sein kann, wenn man nicht mit den selben Begrifflichkeiten und den damit verbundenen Erwartungen agiert, durfte ich an diesem Tag bereits schon ein weiteres Mal erfahren.
Vor einigen Tagen hatte ich einen kleinen Notizzettel mit der Aufschrift „EG – 14:30 Uhr“ und dem Namen der Ärztin erhalten. 14:30 Uhr war wohl ein Termin – soweit so klar. Doch für was genau das EG stand erklärte sich mir nicht so eindeutig. EG ist in meinem Sprachgebrauch als gängige Abkürzung für Erdgeschoss verwandt. Fragen über Fragen... Was sollte ich denn bloß im Erdgeschoss? Und wohin sollte ich genau kommen? Was würde mich dort erwarten? Ich stellte diese Frage nach dem „EG“ einem Pfleger, welcher mich ungläubig anschaute. EG bedeutet im hiesigen Kliniksprech einfach nur Einzelgespräch und der Name deutete in meinem Falle auf die entsprechende Ärztin hin. Aha – wieder was gelernt...
Zum organisatorischen Ablauf dieser Einzelgespräche hatten mir die Mitpatient_innen bereist schon einige Hinweise gegeben. Man solle einige Minuten vor seinem Termin im Bereich vor dem Schwesternzimmer Platz nehmen und würde dann von dort aus zu dem Gespräch abgeholt. Diese Funktionalität konnte ich auch bereits des Öfteren so beobachten. Da der Stationsflur ja quasi durch die Schutzmaßnahmen gesperrt war, wartete ich brav im Zimmer. Der Zeitpunkt des Termins verstrich. Ich wartete. Gedanken machte ich mir deswegen aber auch keine. Schließlich habe ich während des Vormittages und der Mittagszeit sehen können, dass die Ärztin durchweg in Gesprächen eingebunden war. Es würde also alles so seinen richtigen Weg nehmen und somit wartete ich geduldig. Die Zeit verstrich. Plötzlich stand die Ärztin im Zimmer und schaute auf die Uhr. Ich war gerade im Begriff aufzustehen, damit ich ihr in das Arztzimmer folgen konnte, als sie mich etwas ungläubig fragte, ob ich denn keinen Bedarf an diesem Einzelgespräch gesehen hätte. Nun war ich mehr als verwirrt. Schließlich hatte ich doch getan, was mir die Mitpatient_Innen so schön logisch erklärt hatten. In diesem Fall war es aber nicht das Richtige. Man konnte also sagen „Kommunikation ist blöd sobald mehr als zwei beteiligt sind“... Wir schauten uns, nach dem wir das Missverständnis aufgeklärt hatten, grinsend an. Wir vereinbarten auch noch die adäquate Verhaltensweise für das Warten auf eine Einzelgespräch bei ihr...
Am Abend erhielt ich schließlich einen neuen Notizzettel mit dem Termin für den Folgetag mit der Aufschrift „Gespräch 11:30 Uhr“. Ich musste innerlich beherzt lachen...
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