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Unbestechliche Beharrlichkeiten

Heute wachte ich wie befürchtete mit einem leichten Muskelkater auf. Die Psychoedukation von gestern hatte also ihren Dienst vollständig erfüllt. Langsam streckte ich alle Glieder. Ein leichter Schmerz war zu spüren, doch ich genoss ihn ein wenig..., zeigte er mir doch, dass ich noch am Leben war...

Kurz vor Beginn der Morgenrunde betrat ich den Raum. Fast wäre ich zu spät gekommen. Es war knapp – aber ich war noch pünktlich. Frau Unbekannt nahm Platz und der Reigen ging Reih um. Nichts sagen ging nicht. War doch ein Einblick in die aktuellen Empfindungen erwünscht. Doch viel sagen wollte ich nicht – konnte ich nicht. Zumindest nicht inhaltlich. Ich beschränkte mich daher auf eigentliche Unwichtigkeiten. Nun ja ganz so unwichtig waren mir die Dinge, die hinter diesen Aussagen steckten dann doch nicht. Hatte ich doch am Vorabend meine letzten ausstehenden Blog-Einträge fertig gestellt. Schneller als erwartet waren die letzten Tage in Sätzen gefasst gewesen. Schneller als gedacht hatte ich die E-Mail an meine Bezugsschwester versandt. Und schneller als erhofft war der neue Tag angebrochen...

KBT war der nächste Tagesordnungspunkt. Die Therapieeinheit, welche ich in der letzten Woche nach wenigen Minuten verlassen hatte, weil mir der Raum, die Menschen einfach nicht erträglich waren. Heute wollte ich sie aushalten - diese Situation. Nach meinem Plan wollte ich dieses Mal in dem Bewegungsraum bleiben, mich beteiligen – vielleicht sogar einbringen. Doch der Plan schlug fehl...

Ich floh in eine Ecke des Raumes. Hielt mich an dem Fensterbrett fest. Hielt mich so intensiv fest, dass mir mit der Zeit die Finger weh taten. Striemen bildeten sich auf den Handinnenseiten. Doch ich konnte nicht los lassen. Konnte einfach nicht entspannen. Konnte diese Position nicht verlassen. Aber ich war da. War noch im Raum. Selbst die Gedanken folgten der Stimme der Therapeutin. Daher war ich ein wenig stolz auf mich – sofern man hierbei von Stolz sprechen kann...

Zu Beginn gab es eine kleine Übung, welche das Namensgedächtnis aktivieren sollte. Namen merken – für mich an sich nicht schwierig. Musste ich mir doch von Zeit zu Zeit immer einmal mehrere Namen innerhalb von Stunden merken um sie dann einige Tage später wieder vergessen zu dürfen. Wir spielten uns also einen handlichen Ball zu. Energisch aber nicht unangemessen hart. Immer weitestgehend auf die Bedürfnisse der anderen achtend... und hierbei konnte ich mein Fensterbrett los lassen – mich beteiligen... Ein wenig beruhigte mich das... Anschließend folgten einige andere Übungen. Ich war wieder wie angespannt und suchte erneut verzweifelt Halt am Fensterbrett...

Plötzlich sprach mich die Therapeutin an. Ich war erstarrt. Wollte mich einfach nur im hier und jetzt halten – nicht davon stürmen. Was ich gerade empfinden würde und wie es mir mit den Aktionen ginge, wollte sie wissen. Langsame Schritte, schnelle Schritte, kurze Schritte und ausladende Schritte. Alles konnte ich nicht – war ich doch zu sehr damit beschäftigt mich im Raum zu halten... Und nun sollte ich auch noch beschreiben – kundtun, was diese Situation mit mir macht... Ich hatte keine Worte... Oder doch – doch sie blieben mir im Halse stecken... Ausharren – aushalten... Nach einer gefühlten Ewigkeit gab sie das Wort an eine andere Patientin weiter... Ich war erleichtert... Ich hörte aufmerksam zu – fand mich in einigen Aussagen wieder und versuchte auch andere Empfindungen nachzuspüren. Teilweise gelang es mir. Teilweise... Doch selbst beschreiben, was diese Situation mit mir macht, konnte ich nicht... Zwischenzeitlich hatte ein Patientin das Fenster hinter mir geöffnet. Ein kühler Luftzug durchdrang den Raum, welcher nach meinem Gefühl augenblicklich ein wenig größer erschien. Erträglicher war. Ich konnte atmen – und meine Außenwelt spüren. War mir doch bisher alles wie durch einen dumpfen Schleier erschienen...

Bevor ich mich versehen konnte, war zu meinem puren Entsetzen der imaginäre Redestab wieder bei mir... Sie fragte erneut nach. Immer und immer wieder... Es kam mir vor, als würde sie unendlich an mir reißen. An mir zerren – um jedes noch so kleine Wörtchen von mir ringen... Ich konnte nicht. Fühlte mich gefangen. Einzig ein Kopfschütteln gelang... Fühlte mich getrieben... Getrieben aus der Situation. Getrieben aus der Therapie. Getrieben aus dem Raum... Getrieben aus dem letzten kleinen Stückchen eigener innerer Sicherheit... Ich musste weg... Raus aus dem Raum. Raus aus der Klinik. Raus aus den immer gleichen Gedankenkreisen...

Die kühle Luft kitzelte mir die Nase – ich fühlte mich ein wenig befreit. Nicht gut aber besser... Etwas zog mich weg. Weg von der Tür. Weg vom Inneren der Tagesklinik. Ich wusste nicht wohin. Einfach nur weg... So bog ich um die Ecke und atmete. Atmete tief ein... Die Anspannung wich in kleinen Sequenzen. Nicht ganz – aber ein wenig. Noch ein paar Schritte – einige kurze Momente und ich hätte zurückkehren können. Weiter versuchen mich auf die Therapieeinheit einzulassen. Aber nein – im Augenwinkel sah ich, wie mir die Co-Therapeutin folgte. Immer näher kam... Nähe – nein Nähe konnte und wollte ich gerade nicht ertragen. Ich wich zurück. Ging in die andere Richtung – von ihr weg, doch sie folgte unaufhaltsam... Ich fühlte mich verfolgt – getrieben – ja vertrieben... Kaum ging ich einige vorsichtige Schritte, folgte sie mir. Ein Katz und Maus-Spiel schien sich anzubahnen. Ich verstand nicht, dass sie mich nicht ziehen ließ – mir die Luft zum Atmen nahm... Ich floh... Ging einige Meter – doch sie war immer noch da... Ich ging weiter. Weiter vom Grundstück der Tagesklinik weg... Entlang der Seitenstraßen. Ich lief. Lief einfach - lief um dem Gefühl zu entkommen...

Als ich nach einer gefühlten Ewigkeit wieder im Bewegungsraum ankam, waren eigentlich nur wenige Minuten vergangen. Minuten, die sich für mich so unendlich lang anfühlten. Wäre mir die junge Frau nicht gefolgt, hätte ich vielleicht auch schon einige Augenblicke eher zurückkehren können. Doch „Was wäre wenn?“ war nicht die richtige Frage. Ging es jetzt doch viel mehr darum, wie es weiter gehen sollte...

Die Einheit war noch in vollem Gange. In der Imagination sollte man sich, während man im Raum umher ging, vorstellen, wie sich Gehen auf unterschiedlichen, bestimmten Untergründen anfühlen würde. Die Therapeutin leitete diese Gedankenreise sehr behutsam und liebevoll an... Aber ich konnte immer noch keinen Zugang finden. Ich blieb in der Tür stehen. Suchte meinen eigenen Raum. Meine Sicherheit. Meine Insel. Neben mir eine weitere Patientin, welche sich in dieser Situation ebenfalls äußerst unwohl zu fühlen schien... Unsere Blicke trafen sich kurz. Zaghaft. Scheu... Ich erstarrte – selbst diese Nähe war mir unerträglich. Zwanghaft hielt ich mich davon ab den Raum erneut zu verlassen. Jedoch war mein Fluchtpunkt – die Fensterbank nicht erreichbar. Das Fenster wurde durch eine andere Patientin blockiert. Ich erschauderte. Doch ich floh nicht. Ging stattdessen hinüber zu dem zweiten Fenster und krallte mich dort am Holz fest. So fest, dass auch hier meine Fingerknöchel wieder schmerzten...

Von neuem wollte die Therapeutin eine Rückmeldung. Wieder war die Frage nach den Emotionen, nach den Eindrücken, die die letzte Übung ausgelöst hatte. Wieder war ich erstarrt. Wieder konnte ich keine Antwort geben. Nicht weil mir die Worte fehlen würde – nein, weil mir die Worte nicht über die Lippen kommen wollten... Mit ihren Worten zog und zerrte sie schon wieder an mir herum... Sie schaute mich verunsichert, fast ein wenig hilflos an... Und je mehr sie mich mit diesem Blick taxierte, um so unwohler wurde mir. Schließlich hatte sie erbarmen. Schließlich... Endlich!!!

Ihre Wahrnehmung, welche sie in Worten zu fassen versuchte, war jedoch vollkommen diametral. Sie meinte, dass ich ihre folgenden Worte nicht als Zeichen der Ignoranz, der Nichtwertschätzung ansehen möge. Sie wolle nur nicht mehr an mir herum zerren und beendete alsbald die Therapieeinheit... Endlich hatte sie mich wahrgenommen... Endlich wurden ich und mein Bedürfnis wahrgenommen...

Ich verließ den Bewegungsraum und ging die knarzende Treppe hinauf. Hinauf zum Speisesaal. Dahin wo die Pumpkannen mit Kaffee und heißem Wasser standen. Tee – ja Tee war ein guter Plan. Ich griff zu meinem Schlüssel und holte mir eine meiner Wohlfühlsorten aus dem Schließfach...

Ein kleines Gespräch brachte mir ein wenig Ablenkung aus der Situation. Aus der innerlichen Nachschau des soeben Geschehenen. Doch war diese Ablenkung richtig? War sie eigentlich gut? Würde sie nicht alles wieder deckeln und mir den Zugang zu Wichtigem versperren? Ich wollte allein sein... Mir diese Fragen stellen und mir selbstständig meine Antworten suchen. Musste ich doch bisher immer alle Fragen selbstständig beantworten. Ohne ein offenes Ohr von anderen – ohne Zuspruch. Ohne Hilfe...

Das anstehende Gespräch mit meinem Psychologen konnte ich daher nicht wahrnehmen wollen. Zumindest sagte mir dies eine innere Stimme. Ich kämpfte mit mir... 10 Minuten bis zum Termin. Nur noch 10 Minuten. Meine innere Unruhe stieg. Wollte ich diesen Termin doch nicht – nicht jetzt – nicht heute... Wollte meine Gedanken sortieren. Die Gefühle relativieren... So ging ich zum Schwesternzimmer und klopfte. Fragte nach einem Ausweich – nach einer Vertagung... Meine Bezugsschwester schaute mich irritiert an... Sie konnte und wollte es nicht entscheiden. Ihre Kollegin, welche im Raum war, meinte nur, dass das Gespräch auf Grund der KBT-Sitzung doch sinnvoll sein könnte. Doch in meinen Augen war es das nicht. Es herrschten also wieder vollkommen entgegen gesetzte Wahrnehmungen vor... Ich war enttäuscht. Hatte ich doch das Gefühl, dass ich nicht verstanden würde... Meine Bezugsschwester stand auf, schaute mich an und ging mit mir ins Dachgeschoss. Sie suchte nach meinen Psychologen. Nur er könne entscheiden ob der Termin verlegt werde. So huschte sie flink nach oben. Mit schleppendem Schritt folgte ich ihr über die knarzenden Stufen hinauf.

Der Psychologe saß mit der Therapeutin von eben im Personalraum. Sie unterhielten sich angestrengt. Die Schwester ging hinein und schloss die Tür hinter sich. Ich war unruhig. Was würden sie bloß besprechen? Würden sie gerade gar über die Situationen sprechen – ggf. sogar über mich reden? Ich wollte nur noch weg... Hilflos stand ich auf dem Flur. Wusste nicht wohin ich sollte... Setzte mich daher auf einen der Rattansessel und wartete... Die Minuten vergingen. Schleppend. Schleichend. Wie in Zeitlupe...

Plötzlich stand der Psychologe vor mir. Freundlich wie immer. Er tat so als ob er von meinem Wunsch – meinem Bedürfnis, das Gespräch zu verschieben, nichts wissen würde... Ich war erstaunt. Hatte sie sich doch gerade unterhalten. Ich war verwirrt. Aber so war es nun einmal... So bat ich ihn nun direkt um Absage des Termins, welcher eigentlich in wenigen Minuten stattfinden sollte. Er fragte warum. Ich versuchte mich mit klugen Worten zu erklären. Meine Argumenten waren aber wohl zu schwach. Er blieb hartnäckig, wollte wissen warum. Immer und immer wieder warum...

Ich sprang auf. Wollte nur noch davon. Eine Verschiebung des Gespräches schien nicht in Aussicht zu stehen. Ich lief zur Treppe und schaute von oben auf die Stufen hinab. So unverstanden fühlte ich mich schon lange nicht mehr. Wollte ich doch einfach erst einmal meine Gedanken sortieren. Die Emotionen abstumpfen. Nicht reden...

Langsam, so schien mir, musste er stark an sich halten. Seine Emotionen verstecken. Wurde er doch von Sekunde zu Sekunde unruhiger. Fast ein wenig haltlos. Doch er war professionell. Viel zu professionell in meinen Augen . Zu professionell für meine aktuelle Erwartungshaltung. Hatte ich doch gehofft – vielleicht sogar ein wenig provoziert. Eine Absage des Gespräches provoziert. Er jedoch hatte meinen Plan scheinbar durchschaut – atmete tief durch und beharrte ausdrücklich auf dem Gespräch. Gleichzeitig gab er mir jedoch noch ein paar Minuten... Ich ging nach unten – zurück in den Speisesaal, zurück zu meiner Hilflosigkeit...

Meine Karenzzeit war vorbei. Das Gespräch stand an und mein Psychologe bereits suchend auf dem Flur. Ich folgte ihm zögerlich ins Dachgeschoss. War mir doch immer noch nicht nach reden – reden über die Situation von eben, reden über mich und meine Emotionen. Er war jedoch noch beharrlicher als vorher. Beharrlicher in der Art auf den Termin zu bestehen. Und noch beharrlicher im Gespräch an sich... Immer wieder hakte er in die Situation ein. Ließ sich meine Seite erzählen und versuchte beide Blickwinkel zu einem Bild zusammen zu stellen...

Und da war es wieder – das ungute Gefühl. Das Gefühl, nicht zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Hatte ich doch den Eindruck, dass ich die anderen in der KBT-Einheit negativ beeinflusst hätte. Dass es den anderen ohne mich besser gegangen wäre. Sie sich besser auf die Aufgaben hätten einlassen können – ich als Störfaktor in einem gut durchdachten System...

Wir sprechen und sprechen... Sprechen weiter intensiv über meinen Eindruck. Über meine Gedanken und plötzlich auch ein Stück über ihn. Er fragte mich zaghaft, ob er ein wenig von sich Preis geben könne. Ich war verwundert, aber auch ein wenig erleichtert. Gab mir dies doch die Chance ein wenig aufzuatmen. Ein wenig den Fokus zu ändern. Den Fokus von mir zu nehmen. Auf ihn und auf seine Sichtweise auf das Gespräch im Flur. Und ja er schilderte mir genau das, was ich schon gefühlt hatte. Meine Wahrnehmung hatte mich nicht getäuscht. Mein Eindruck stimmte und er gab zu, dass die Umstände bei unserem Gespräch auf dem Flur recht unangenehm und anstrengend waren und ihn doch ganz schön intensiv gefordert hätten... Ich lächle ein wenig, denn jetzt fühle ich mich nicht mehr ganz so allein. Allein in meiner Wahrnehmung...

Schließlich regte er an, dass ich meine Gedanken, meine Empfindungen schriftlich einordnen solle. Einordnen in ein Formular. Ein Formular mit dem Namen BEATE-Bogen. Ausgerechnet Beate... Ein Name, der mir komisch für solch einen Bogen erscheint. BEATE für Benennen, Erkennen, Anerkennen, Trennen und Einbrennen. Wir saßen also da und versuchten diesen kleinen Ausschnitt von mir unter den Überschriften zu formulieren...

Das Gespräch hatte schon wieder eine anstrengende Wendung genommen. Eine Richtung die sich als schmerzhaft darstellte, aber die sich nicht falsch anfühlte. Sollte die Schwester mit dem Gespräch dann doch recht behalten haben...

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