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Unwirkliche Albträume

Geschwind biege ich um die Ecke. Hohe Häuserschluchten begrenzen die Straßen in dieser Wohngegend. Häuser mit 10 oder mehr Etagen. Fahl blasse Fassaden spiegeln die Anonymität des Stadtteiles wieder. Kein Mensch ist zu sehen an diesem neblig grauenhaften Morgen. Die Vögel in den Zweigen der dürren Bäume sind schon lange verstummt.

Zaghaft und unsicher gehe ich die Straße entlang. Entlang der Straße, die mir in Teilen bekannt vorkommt. Jedoch fühle ich mich heute morgen so unendlich fremd hier, denn viele Blickachsen sind fremd, sind neu und ungewohnt. Ich gehe vorbei an unendlich vielen Autos. Die meisten Wagen sind mir völlig unbekannt. Neue, auffällige Marken stehen ebenso in den Parkflächen wie alte und verbeulte Exemplare. Einige scheinen vollkommen unberührt zu sein, neu. Andere machen einen gebrauchten, abgenutzten Eindruck. Der Lack mancher Autos ist stumpf und bereits ziemlich zerkratzt. Wiederum andere blitzen und blinken aufregend bunt. Auffällig. Immer wieder in den Fokus rückend, fast schon aufdringlich...

Hinter der nächsten Biegung durchfährt mich ein unendlicher Schreck. Unbestechlich, schmerzhaft und schockierend. Mein Auto steht inmitten der Kurve. Ich bin verwirrt. Hatte ich es doch noch nie hier abgestellt. Schon gar nicht so außerhalb jeglicher Parkordnung. Habe ich doch schon seit Jahren einen festen Stellplatz. Eine Stellfläche, welche ich extra angemietet habe, damit ich kommen und gehen kann wie es mir gefällt. Ein Parkplatz, der extra mit einer Schranke abgesperrt und mir dadurch in mitten einer Parkanlage immer zur Verfügung steht – egal zu welcher Uhrzeit ich ankomme. Eine Stellfläche, die mir die Suche nach einer anderen Alternative erspart. Eine Parkfläche, die meinem Auto und mir bisher immer Sicherheit geben konnte.

Bereits von Ferne sehe ich, dass die Wagentüren weit offen stehen. Ich erschrecke und frage mich, wie mein Auto hierher kommt und warum es offen steht. Sekunden später fällt mir auf, dass die Kennzeichen fehlen. Das Auto wurde nicht nur aufgebrochen sondern auch seiner Identität bestohlen. Eine Katastrophe! Habe ich nicht schon genügend auszuhalten? Reicht es nicht langsam? Ich möchte schreien, toben... - doch es geht nicht... Schweigend, scheinbar erstarrt trete ich näher an mein Auto. Die Türen prangen weit offen in die Fahrbahn. Ich bin froh, dass heute morgen kein Verkehr herrschte. Hätte dieser wahrscheinlich nur noch mehr Schaden gemacht, die Türen vermutlich noch abgefahren. Ich nähere mich einen weiteren Schritt. Der Innenraum ist durchwühlt. Ich verzweifele. Panisch suche ich nach einzelnen Gegenständen, nach Dingen die mir Sicherheit geben... Und bin ein wenig erleichtert als ich diese im Fußraum finde. Ich schaue mich weiter um. Nichts liegt mehr an seinem angestammten Platz..., aber es ist alles noch vorhanden...

Ein junger Mann tritt leise und unscheinbar an mich heran, legte seine Hand vorsichtig auf meine Schulter und bot mir seine Hilfe, seinen Zuspruch in diesen schwierigen Minuten an. Er lächelt zaghaft. Ein wenig unsicher wirkte sein Handeln. Woher er kam, kann ich nicht sagen... Aber ich bin froh, dass er da ist.

Wir stehen da und warten. Warten auf den Notdienst und plötzlich dringt aus weiter Ferne ein Geräusch an mein Ohr. Ein bekanntes Geräusch, welches jedoch nicht wirklich in diese Sekunden passt, aber immer lauter wird... Als der Streifenwagen dann endlich um die Ecke biegt, stelle ich fest, dass das Geräusch meinem Wecker ähnelt...


Ich schrecke hoch – hatte ich doch nur geträumt. Einen furchtbaren Traum. Einfach einen Albtraum. Aber zum Glück nur war es nur ein Traum. Ich saß da und war benommen. Konnte ich das Ganze doch nicht recht einordnen. Noch nicht... Im Moment zumindest war ich einfach nur froh, dass es nur ein Traum war...

Am Vormittag hatte ich wieder einen Termin mit meiner Bezugsschwester. Sie wollte wissen, ob ich Unterlagen dabei hätte. Unterlagen wie diese ungeliebten Situationsbögen, zu denen ich immer noch keinen echten Zugang gefunden habe. Oder den BEATE-Bogen vom Vortag. Hatten wir doch im gestrigen Gespräch nur die ersten Bereiche notiert. Die weiteren Punkte sollte ich dann selbstständig ausfüllen. Mich damit beschäftigen und meine Gedanken notieren. Doch zumindest das Notieren hatte ich immer noch nicht geschafft. Machte es mich doch einfach zu traurig und kostete mich zu viel Kraft. Hatte ich doch das Gefühl, dass dieses Gefühl dadurch noch mehr an Realität gewinnen könnte...

Einleitend merkte sie an, dass sie ein wenig in den Blog-Beiträgen gestöbert habe. Sie nannte auch den ein oder anderen Tag, welchen sie mit besonderem Augenmerk gelesen hatte. Nach einigen Momenten der Stille machte ich meine Traum zum Thema des Gespräches. War er doch ein Sinnbild zu meiner Situation – zum gestrigen Tag. War mir doch ein wenig die Identität verloren gegangen. Gestohlen. Nein, doch eher verloren. Verloren im Gespräch mit meinem Psychologen. Hatte er durch seine intensiven Nachfragen doch meine innersten Gedanken und Gefühle aufgewühlt. Aufgebrochen. Durcheinander gebracht... Waren die vielen geparkten Wagen vielleicht ja ein Sinnbild für die vielen Menschen hier in der Tagesklinik. In der Tagesklinik, die mir zwar schon ein wenig Sicherheit bieten konnte, die sich aber teilweise immer noch sehr fremd für mich anfühlt... Gleichzeitig war der Traum eine Möglichkeit mich mit mir selbst zu beschäftigen. Aber er gab mir auch die Gelegenheit mich um diese Bögen zu mogeln...

Wir sprachen. Sprachen erneut über den vergangenen Tag. Die Therapieeinheit, welche mich erneut in die Flucht getrieben hatte. Flucht – eine mir doch sinnvoll erscheinende Möglichkeit mich aus unaushaltbaren Konstellationen zu nehmen. Schier aus Unbehagen zu befreien. Was mir aber gleichzeitig auch die Chance auf neue Erfahrungen nahm...

Behutsam versuchte sie mich an die letzten Bereiche des BEATE-Bogens heran zu führen. Reagierte gewitzt auf einige meiner Versuche, mich mit Wortspielen aus der Affäre zu ziehen. Dadurch gelang es mir nicht von schmerzhaften Punkte abzulenken. Sie abzulenken, aber vor allem mich selbst abzulenken... Tränen kullerten mir über die Wangen. Tränen, die ich nicht wirklich zulassen wollte. Tränen, die mir unendlich unangemessen vorkamen und die mir unangenehm waren. Hatte ich doch bisher immer versucht, allein mit mir und meinen Gedanken zu recht zu kommen. Aber hatte mich dieses Verhalten letztendlich auch in diese aktuellen Umstände gebracht. Wahrscheinlich musste ich einmal mehr erkennen, dass meine bisherige Taktik ziemlich ungesund für mich geworden war...

Wir oder besser gesagt sie formulierte Sätze, wohlwollende Sätze. Sätze, die möglichst keine negativen Konnotationen enthielten. Sätze, die mir aus eigenem Antrieb so unendlich schwer fielen. Sätze, die ich mir nie erlaubt hätte. War und bin ich doch immer viel zu kritisch mit mir... Sätze, die ich mir endlich erlauben muss, erlauben darf. Erlauben darf, wie ich mir vieles andere wohl endlich einmal erlauben sollte... Sätze, die meine Denkmuster verändern könnten. Kleine Sätze - vorsichtige Sätze. Vielleicht für den Anfang auch schüchterne, kurze Sätze... Formulierungen, mit denen ich mich erlauben kann. Worte, die mir klar machen können, dass ich genüge. Mir und den anderen. Eine Ausdrucksweise, mit der ich mir wohlwollend begegnen kann... Kurz gesagt: Ich darf... Ja ICH darf!!!

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