Der Tag war durch die Oberarztvisite gekennzeichnet. Dadurch fiel die obligatorische Morgenrunde aus. Geschäftiges Treiben herrschte unter den Patienten. Hier ein wenig Anspannung, da ein wenig eine Art von Zurückhaltung. Mein Name stand auf der ersten Position. Ich sollte daher bereits jetzt im Dachgeschoss auf das Gespräch warten. Der Pflicht folgend nahm ich auf einem der beiden Rattanstühle Platz. Meine Anspannung wurde immer heftiger. Innere Vorwürfe hielten sich mal wieder nicht zurück. Irgendwie erwartete ich auf Grund des gestrigen Tages noch eine unangenehme Reaktion. Ich war verunsichert. Doch Professor Unaussprechlich verspätete sich. Verspätete sich zumindest in Betracht darauf, dass der angekündigte Gesprächsbeginn hatte schon vor einige Minuten liegen sollen. Je länger ich wartete um so unangenehmer wurden mir meine Gefühle. Ich wollte wieder flüchten, doch ich kämpfte mit mir... Blieb tapfer sitzen und zählte die Minuten...
Das Gespräch verlief wider meiner Erwartung freundlich. Keine Vorwürfe und Beschuldigungen seitens des Oberarztes oder der anderen Beteiligten des Teams. Alle schauten freundlich drein. Selbst die verquickte Situation des Vortages nahmen sie zwar leicht irritiert aber dennoch als gegeben hin. Schenkten mir sogar noch wohlwollende Aufmerksamkeit diesbezüglich. Nächste Woche solle dann mein Start in der Schemagruppe sein. So wie es Professor Unaussprechlich bereits vor meinem Wechsel in die Tagesklinik auf Station für die letzte – die gestrige Stunde angekündigt habe. Doch mir war das so nicht bewusst – nicht eindeutig gewesen. Nächste Woche – ja – nächste Woche, bis dahin kann ich mich jetzt innerlich orientieren. Mir eine Art Vorbereitung einbilden. Doch gestern – nein gestern war mir zu überraschend, zu überrumpelnd – zu spontan...
Nach der Visite ging ich zur Gruppenergo. Die Einheit hatte bereits begonnen. Auf dem großen Tisch lagen verschieden Karten, welche sich an der Schematherapie orientierten. Vor einzelnen Menschen lagen kleine hölzerne Püppchen, deren Rolle ich aktuell noch nicht verstand. Die grünhaarige Patientin las aus einem Buch vor. Ich war irritiert und suchte mir einen freien Platz am entgegen gesetzten Ende des Raumes. Eine Mitpatientin versuchte mir den bisherigen Verlauf der Therapieeinheit in kurzen Sätzen zu erläutern. Sie fasste die bereits gelesenen Seiten des Buches in eigenen Worten zusammen. Inhaltlich konnte ich mich dadurch etwas besser orientieren, doch das Gefühl für die Situation kam nicht so recht in mir auf. Ich fühlte mich fehl am Platz. Mein Blick fokussierte sich ständig an den vor mir ausgebreiteten Therapiekarten. Mein Interesse war dahin gehen eher geweckt als dem eigentlichen Inhalt und Ablauf zu folgen. Die Therapeutin nahm diesen Drang auf und gestattet mir einen tieferen Einblick in das Kartenmaterial. Nach der Stunde fragte ich sie ob ich das Kartenset am Wochenende intensiver studieren könne. Doch diesen Wunsch wies sie barsch zurück. Arbeitsmaterialien würden prinzipiell nicht aus der Hand gegeben. Hier im Haus – in den Pausen könne ich mir die Unterlagen ausleihen und studieren, doch mit nach Hause nehmen ginge nicht. Eigentlich auch verständlich. Wird das Material auch einen gewissen Preis haben. Doch ich fand die Heftigkeit der Reaktion übertrieben – gar unangemessen... Ich beruhigte mich in dem ich mir einredete, dass es nicht an mir liegen würde sondern ich die Frage einfach nur zur falschen Zeit, am falschen Ort und zum falschen Inhalt gestellt hätte...
Als Nächstes stand Trommeln als Therapie auf dem Plan. Der Weg führte somit in den Keller des Gebäudes. Verschiedene Trommeln und Schlaginstrumente standen unsortiert im Raum verteilt. Ich wählte eine Platz in der Nähe der Tür. Hatte sich der Geräuschpegel des Raumes am Vortag bereits bis in die darüber liegende Etage fortgesetzt, befürchtete ich doch einen unerträglichen und vor allem unkontrollierbaren Lärm der Trommeln. Aus diesem Grund war ein guter Ausgangspunkt für ein umständefreies Verlassen des Raumes in meinen Augen angebracht. Die Therapeutin fragte nach den Wünschen jedes Einzelnen. Doch eine Bedingung hatte sie an die jeweiligen Wünsche – sie sollten mit der Therapieeinheit in Einklang gebracht werden können. Schwierig – zumindest für mich... Sie begannen zu trommeln. Irgendwie stellte sich auch ein gemeinsamer Rhythmus ein. Aber ich konnte mich nicht beteiligen. Mein eigener Anspruch stand mir wieder einmal mehr im Weg. Die Anmerkung, dass sich zwei der Teilnehmenden gut mit Musik und Rhythmus auskennen würden, erleichterte mir das Ganze auch nicht. Es verstärkte meine Anspannung nur noch mehr...
Die Melodie die sich einstellte war ganz angenehm. Auch die Lautstärke reizte mich nicht über das annehmbare Maß. Ich konnte mich in die Situation einfinden. Langsam konnte ich mich ein wenig öffnen. Meine Blicke untersuchten die Djembé vor. Zaghaft, vorsichtig. Sollte ich einfach zu greifen? Mich überwinden? Einfach drauf los – ohne viele Überlegungen... Die Therapeutin stand auf, kam herüber und rückte das Instrument näher an mich heran... Das vorsichtig aufkommende Gefühl, um welches ich in den letzten Minuten gekämpft hatte, war innerhalb einer Sekunde zerplatzt...
Im Gehen meinte die Therapeutin, dass wir den Trommelraum auch während der therapiefreien Zeiten nutzen könnten. Ich wurde hellhörig. Sollte ich mich vielleicht einmal in den Keller schleichen und mich vorsichtig und vor allem allein an die Töne der Trommeln gewöhnen...
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