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WARUM?

Ich frage mich: Warum? Warum dies? Warum das? Warum jenes? Immer wieder und wieder. In den verschiedensten Kombinationen. Warum trifft mich diese Erkrankung? Warum gehen Menschen so mit mir um? Warum habe ich diese oder jene Entscheidung getroffen? Warum habe ich dies oder das so und nicht anders gemacht? Warum bin ich heute da und nicht wo anders?

Aber warum eigentlich? Hat mir doch – zumindest in Bezug auf meine Depression – dieses Warum nicht wirklich weiter geholfen. Obwohl das auch nicht so stimmt. Dieses Warum hat mich auf meinen Weg gebracht. Hat mich zum Niederschreiben meiner Gedanken gebracht. Und es hat mich dazu gebracht, dass ich heute hier bin. Das ich noch hier bin...

Viele dieser Warum sind bereits Thema in meinen Therapien gewesen oder werden es in der aktuellen noch werden. Manche werden vielleicht auch noch einmal erneut Thema werden. Weil sie so umfangreich erscheinen oder eben noch keine Ruhe geben wollen. Vielleicht können sie aber auch noch keine Ruhe finden, da ich noch nicht breit dafür war. Ich muss einen Weg finden ihnen den angemessenen Raum zu bieten. Muss sie ansprechen, besprechen, aussprechen. Und dann muss ich einen Weg finden damit meine Frieden zu machen oder zumindest einen Waffenstillstand schließen. So wie vor drei Jahren...

Darum ärgert mich ein Warum. Ärgert mich und bringt mich mehr auf als all die anderen Warum: Warum habe ich damals aufgehört zu Schreiben? Was ist an diesem und den folgenden Tage passiert?

Ich habe keine Antwort. Keine Antwort, obwohl ich mir diese Frage schon eine ganze Weile stellte. Ich stelle sie mir, ohne das konkrete Datum des letzten Eintrages zu erinnern. Eine Antwort habe ich auch heute noch nicht. Aber ich kenne das Datum...

Tagelang streiften die Finger über die App im Handy und trauten sich doch nicht, diese aufzurufen. Warum eigentlich? Auch darauf habe ich keine Antwort. War es vielleicht die Angst davor, an doch nicht immer schöne Einträge aus nicht so tollen Tagen, erinnert zu werden? Waren des die Bedenken, die wieder aufflammende Depression, die die doch immer andauernde Dysthymie zu überblenden beginnt, noch mehr zu befeuern? Sinnvolle Antworte darauf gab und gibt es nicht. Schließlich muss ich keinen der damaligen Beiträge lesen, wenn ich es nicht will. Muss die Gedankenkreise nicht wieder erwecken, wenn ich es nicht für notwendig erachte. Dafür kann ich aber andere Gedankenkreise unterbrechen, gar abbrechen, wenn ich sie niederschreibe.

So habe ich allen Mut zusammen genommen und die App geöffnet. Und? Nichts! Alles irgendwie weg. Toll! Mist! Warum? Nach einem kurzen Moment der Erstarrung habe ich das Passwort erneut eingegeben. Und siehe da – alle Texte scheinen vorhanden. Ich lasse die Seite über die Überschriften und Daten der einzelnen Beiträge scrollen. Der letzte Eintrag ist vom Februar 2020. Von vor fast 3 Jahren. Wieder kommt die Frage nach dem Warum? Warum habe ich damals verdammt noch mal aufgehört zu schreiben? Warum habe ich zwischenzeitlich nicht wieder angefangen? Gespräche, Erlebnisse und Begegnungen als Grund hätte es genug gegeben. Dinge, die ich immer noch mit mir trage. Situationen, die niedergeschrieben vielleicht ihren Schrecken reduziert hätten.

Nun, die Vergangenheit kann ich nicht ändern – ich kann nur die Zukunft und die Gegenwart beeinflussen. Und ich kann die Webseite beeinflussen. Ich schaue mir die Gestaltung an. Schaue nach Punkten und allgemeinen Passagen in den Übersichten, die vielleicht einer kleinen Überarbeitung bedürfen. Doch irgendwie ist die Bedienung anders. Es fühlt sich komplizierter an als damals. Mein Mut schwindet. Meine Motivation will mich verlassen. Aber nein – mein Ehrgeiz ist geweckt. Ich will. Ich muss für mich selbst. Für meinen Plan, wieder mehr für mich zu sorgen. So schaue und suche ich. Klicke hier und markiere da. Nach einer gefühlten Ewigkeit ist alles wieder so wie ich es möchte. Mein inneres Ich ist zufrieden. Mein innerer Schreiberling freut sich auf neue Beiträge. Doch für diesen Abend war es erst einmal genug. Mit einer wohligen Zufriedenheit fiel ich in den Schlaf.

Leider überdauerte diese Pläsier nicht viele Stunden am folgenden Tag. Eine liebgewonnene Freundin hatte mich schon vor einiger Zeit nach dem Warum gefragt. Nach besagtem Warum. Dem Warum, weshalb ich nicht mehr schreibe. Ich hatte ihr damals schon das Recht eingeräumt, an meinen Gedanken, an meinen Beiträgen teilzuhaben. Teilhaben ohne konkrete Verpflichtung. Teilhaben auf eigene Verantwortung. Teilhaben mit großem Vertrauen beiderseits.

Ich schickte ihr also erneut die Zugangsdaten. Und bekam eine niederschmetternde Antwort. Der Zugriff würde nicht funktionieren. Die Webseite würde keine Beiträge zeigen. Oder nur kurze Einblicke gewähren. Ich war ein Stück verzweifelt. Aber ich war auch angestachelt. Musste es doch funktionieren. Funktionieren, so wie damals. Ohne Probleme. Mein Ehrgeiz war geweckt. Also nochmal die App aufrufen und alles durchklicken. Alles war in Ordnung. So schien es zumindest. Zur Kontrolle habe ich selbst die Webseite aufgerufen. Nicht über die Bearbeitungsoption sondern über den Link, der zum Lesen gedacht ist. Und? Die Beiträge waren nicht erreichbar. Ich wurde wütend. Ich war beleidigt. Was sollte das? Fasse ich schon einmal einen Entschluss und dann macht mir die Technik einen Strich durch die Rechnung? Nein – nicht mit mir.... Meine Sturheit war befeuert. Ich atmete tief durch und überlegte. Überlegte, wo denn der Fehler liegen könnte. Irgendwie musste das Problem doch zu lösen sein. Nach einigem Hin- und Her fand ich dann die Lösung in der Bearbeitungsoption der Webseite. Die Seite musste einfach nur erneut veröffentlicht werden. War sie wahrscheinlich in den letzten Monaten der Nichtnutzung einfach nur offline gesetzt worden. Nach einem kurzen Klick war wieder alles sichtbar...

Am Abend las ich die letzten Beiträge. Einträge vom 2. und vom 3. Februar 2020. Texte voller Kraft und voller Verzweiflung zugleich. Zeilen mit Wünschen, aber auch mit schmerzhafter Klarheit. Worte, die nach Abschied und gleichzeitigem Neubeginn klangen. Sätze, in denen ein gewisses Behagen an Zufriedenheit schwang. War es der Zeitpunkt eines Wechsels in einen neuen Abschnitt? War es das Ende der Tagesklinikzeit? Ich öffnete den Kalender. Das Medium, was zumindest Dinge wie Krankheitstage und sonstige wichtige Eckdaten enthält. Eckdaten, die mir helfen, mich an gewisse Termine und Ereignisse zu erinnern. Ein Medium war jedoch keine Gefühle und Gedanken enthält. Also ausschließlich den harten Fakten dient.

Aber nein – es war nicht das Ende der Tagesklinikzeit. Es war mitten drin. Die Zeit endete erst Anfang März. Und die Wochen des Februar brachten noch einige Situationen, die sich nebelverwoben in meiner Erinnerung festsetzten. Momente, die hier vielleicht ihren Platz hätten finden sollen. Ihren Platz zum Erinnern und vor allem zum Verarbeiten. Doch sie liegen nun in der Vergangenheit und ich habe kein Gefühl dafür, ob sie sich noch ihren Weg bahnen werden. So wie sich vielleicht Gedanken und Gefühle aus den darauf folgenden Monaten noch hier einfinden werden. Berechtigung dazu haben Einige. Viele. Manche.


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